Große Chronik von Gramatneusiedl, Marienthal und Neu-Reisenberg
1927
1927
Im Januar 1927 wird die Beschäftigtenzahl der
Textilfabrik Marienthal wieder auf das Niveau vom Juni
1926 erhöht; im Juli des Vorjahres war die Belegschaft auf die Hälfte reduziert worden. Im Laufe des Jahres verbessert sich die ökonomische
Situation der Fabrik zusehends, und es werden sogar neue Maschinen angekauft, um auf die Produktion breiterer Stoffe umzusteigen.

1927
Am 8. Januar 1927 übergibt der
1923 gegründete »Burschenverein Gramatneusiedl« sein Vereinsvermögen der »Freiwilligen
Feuerwehr Gramatneusiedl« und löst sich freiwillig auf. Allerdings wird noch im selben Jahr der »Katholische Deutsche Burschenverein
Gramatneusiedl« gegründet. Obmann des etwa 30 Mitglieder zählenden
Vereins ist zunächst Franz Schorn (1905–1983), seit 1930 der Zimmermeister Josef Hums (1906–1946), dann die Landwirte Josef Brauneder (1908–1971) und Josef Griesmüller (um 1894–1949).
Der Verein wird von den Nationalsozialisten
1938
behördlich aufgelöst.

1927
Mit Verordnung des Bundesministeriums für soziale Verwaltung vom 22. Februar 1927 wird das neue Arbeitslosenversicherungsgesetz (Text nach der 19. Novelle) verlautbart.

1927
Die seit September
1926 von der Zuckerfabrik der »Oesterreichischen Zuckerindustrie-Aktiengesellschaft« in Bruck an der Leitha (Niederösterreich) angestrengte neue Verladestation beim
Bahnhof Gramatneusiedl wird 1927 errichtet, wobei sich die
Freie Gemeinde Gramatneusiedl an der Herstellung des Zufahrtweges finanziell beteiligt.
Weiters werden
gemäß Beschluss vom Juli
1926 auf Gemeindekosten die hölzerne Krautgartenbrücke durch eine Betonbrücke der Firma »Ing. A(dolf) Sterba & F(ranz) Pahl«,
Wien 5. (mit
Filiale in Gramatneusiedl), ersetzt und die
Jesuitenbachbrücke ausgebessert.

1927
In der Sitzung
der Gemeindevertretung von Gramatneusiedl
vom 12. März 1927 erhält Hans Geiger (1901–1974), Inhaber des »Technischen Büros«, Gramatneusiedl 112 (ab 1961: Hauptstraße 34), die Bewilligung zur
Errichtung der ersten Tankstelle Gramatneusiedls, und zwar vor dem damaligen
Postgebäude; diese wird allerdings erst im Februar 1930 errichtet. Zugleich wird das Gesuch von Aloisia Jaschek um Bewilligung der Eröffnung eines
Kaffeehauses in Gramatneusiedl
mangels Bedarfes abgelehnt.
In derselben Sitzung wird auch die Beschwerde des Gemeinderats Matthias Spiegelgraber (1865–1939) »über
die in der Ortschaft eingerissene Auto-Raserei« behandelt.

1927
In der Sitzung
der Gemeindevertretung von Gramatneusiedl vom 4. Mai 1927 wird auf Initiative der
Ortsgruppen Marienthal des »Österreichischen Freidenkerbunds«, das ist der »Volksbildungs-Verein
›Fortschritt‹ Gramat-Neusiedl«, und des »Arbeiter-Feuerbestattungsvereins
›Die Flamme‹«
sowie
auf Antrag des Webers und Gemeinderates Ludwig Jilek (1880–1962) der Bau eines Urnenhains auf dem
Friedhof Gramatneusiedl mit neun gegen eine Stimme beschlossen. Ausgeführt wird der Bau durch die Firma »Ing. A(dolf) Sterba & F(ranz) Pahl«,
Wien 5. (mit
Filiale in Gramatneusiedl),
ursprünglich mit 24, später mit 36 Urnengräbern ausgestattet.
Daran erinnert heute noch eine beim Urnenhain angebrachte Gedenktafel: »Entworfen u(nd) ausgeführt / von / Arch(itekten
ADOLF) Sterba u(nd FRANZ) Pahl / unter dem Bürgermeister /
Josef Bilkovsky.«
In derselben Sitzung wird einstimmig beschlossen, die Bildungsbestrebungen der Marienthaler Arbeiterschaft seitens der Gemeinde jährlich mit 3.000 Schilling finanziell zu unterstützen. Diese Maßnahme zielt vor allem auf das im
Vorjahr
errichtete Arbeiterheim Marienthal
ab. ( Dokument.)

1927
1927
kauft die Pfarre Moosbrunn
(Niederösterreich) zwei Parzellen Grund hinter dem damaligen
Postgebäude,
bei der
Kirche Sankt Peter und Paul und der
Kinderbewahranstalt, um 2.700 Schilling, wofür der
»Katholische Mädchenbund«
im Jahr
1926 insgesamt 3.000 Schilling gesammelt hatte. Hier wird 1928 das
Katholische Vereins- und Kinderheim errichtet werden.

1927
Im Juli 1927 wird ein achtzehn Meter tiefer Brunnen am
Friedhof Gramatneusiedl durch den Stadt-Maurermeister Richard Hums
aus Sommerein (Niederösterreich) gegraben.

1927
In der Sitzung
der Gemeindevertretung von Gramatneusiedl vom 13. Juli 1927 wird eine Subvention für den »Deutschen Turnverein Gramatneusiedl-Marienthal« in der Höhe von 300 Schilling
beschlossen, wobei die Spannungen zwischen der deutschnationalen
Organisation und der Gemeindevertretung sichtbar werden. (
Dokument.)
Als Grund für die geringe Summe wird der angeblich sehr beleidigende Ton
des Ansuchens genannt. ( Dokument.)

1927
Beim Brand des Justizpalastes in Wien am 15. Juli 1927 werden auch Grundbucheinlagen des für Gramatneusiedl zuständigen Bezirksgerichtes Ebreichsdorf
(Niederösterreich) zerstört. Im Februar 1928 muss die
Freie Gemeinde Gramatneusiedl zwei Vertrauensmänner und vier bis sechs Stellvertreter benennen, die bei den grundbücherlichen Neuerhebungen mitwirken. Das neue Grundbuch der Katastralgemeinde Gramatneusiedl tritt mit 21. März
1932 in Kraft.

1927
Mit 15. August 1927 tritt das Bundesgesetz vom 2. August 1927, das so genannte Hauptschulgesetz, in Kraft. Die Hauptschule schließt an die vierte Schulstufe der allgemeinen Volksschule an und ersetzt die bisherige dreiklassige Bürgerschule
durch eine vierklassige Hauptschule (5. bis 8. Schulstufe). Damit wird die Frage nach der Errichtung einer
Hauptschule auch in
Gramatneusiedl aktuell.

1927
Im August 1927 werden gemäß dem Beschluss von
1926 die
ersten neuen Markthütten am
Marktplatz an der Hauptstraße aufgestellt, im Niemandsland zwischen Marienthal und dem Bauerndorf gelegen,
zwischen
Neubau 1 und
Hauptstraße 50. Neben den bereits bestehenden von
Konrad Jusa für Lebensmittel und Cyrill Malicek (1878–1928) für den Verkauf von Innereien werden solche 1927 von Josef Svaton sen. (um 1867–1947) beziehungsweise später Jaroslav
Svaton (1895–1972)
für Wäsche und Kleidung sowie gemischte Partiewaren und von Marie Sam
für Zuckerlwaren aufgestellt; später folgen die Markthütten von Karl Swoboda (1885–?) für Brot und
Gebäck sowie landwirtschaftliche Produkte, von Franz Danicek
für Pferdefleischwaren, von
Julius Jung (1894–1979) für
Konditorwaren sowie von Johann Rosensprung (1888–1949) und
später Aloisia Rosensprung, geborene
Rosensprung (1888–1968), für Fleisch und Wurstwaren.

1927
1927 wird der »Verband der sozialdemokratischen Gewerbetreibenden und Kaufleute Österreichs, Ortsgruppe Gramat-Neusiedl und Umgebung«, mit Rudolf Zika (?–1958) als erstem Obmann, gegründet. Die Lokalorganisation wird gemeinsam mit dem 1919 gegründeten Dachverband
im Februar 1934 behördlich aufgelöst.

1927
Am 9. August 1927 schlägt der Obmann der »Mietervereinigung Österreichs, Landesorganisation
Niederösterreich, Lokalorganisation Gramat-Neusiedl«, der Konditormeister und sozialdemokratische Politiker
Julius Jung (1894–1979), der Gemeindevertretung von Gramatneusiedl vor, zur Linderung der Wohnungsnot ein
Gemeindewohnhaus zu errichten. Es ist dies der erste Vorschlag dieser Art in Gramatneusiedl, der allerdings erst im Februar 1928
zur Behandlung gelangt. ( Dokument.)

1927
Am 8. Oktober 1927 verursacht ein schweres Erdbeben mit Epizentrum in Schwadorf (Niederösterreich) auch in Gramatneusiedl mehrere Sachschäden an Gebäuden.

1927
Am 19. Oktober 1927 stirbt
Dr. Leopold Specht (1869–1927),
seit
1887
Generaldirektor der
Textilfabriken Marienthal und Trumau
(Niederösterreich).

1927
Mit 28. November 1927 wird die 20. Novelle des Arbeitslosenversicherungsgesetzes gemäß
dem Bundesgesetz vom 23. November 1927 wirksam.

1927
In der Sitzung
der Gemeindevertretung von Gramatneusiedl vom 4. Dezember 1927 wird das von den organisierten Gewerbetreibenden
des Ortes – »Deutsch-österreichischer Gewerbebund, Ortsgruppe Gramat-Neusiedl und Umgebung« unter Obmann Josef Moldaschl (1863–1937) und
»Verband der sozialdemokratischen Gewerbetreibenden und Kaufleute Österreichs, Ortsgruppe Gramat-Neusiedl und Umgebung« unter Obmann Rudolf Zika
(?–1958) –
eingeforderte Vorgehen gegen Hausierer von der sozialdemokratischen
Mehrheit abgelehnt. ( Dokument.) Das Thema wird bereits im Februar 1928
erneut in der Gemeindevertretung diskutiert werden.
Weiters wird auf Initiative von Bürgermeister Josef Bilkovsky (1871–1940) der Bau einer Hauptschule
in Gramatneusiedl innerhalb der nächsten drei, vier Jahre einstimmig
beschlossen, wobei sich die christlichsoziale Minderheit, welche dem Bau
prinzipiell zustimmt, aber die finanzielle Belastung der Bevölkerung für
zu groß erachtet, der Stimme enthält. ( Dokument.)
Außerdem wird wie im
Vorjahr eine Subventionierung des
Montessoriheimes und eine Weihnachtspende der Gemeinde für die Armen des Ortes beschlossen.
Schließlich wird noch der Pächter des
Gemeindewirtshauses
Nr. 1 im
Schloss Gramatneusiedl Adalbert Siegl (1895–1976) aufgefordert, das einzige Fremdenzimmer des
Ortes für Durchreisende bereitzuhalten. ( Dokument.)

© Reinhard Müller
Stand: Dezember
2013
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