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Große Chronik von Gramatneusiedl, Marienthal und Neu-Reisenberg
1928
1928
Die
Textilfabrik Marienthal nimmt 1928 einen solchen wirtschaftlichen Aufschwung, dass in der
Spinnerei sogar eine zweite Schicht eingeführt
und bis März 1929 beibehalten wird.

1928
In der Sitzung
der Gemeindevertretung von Gramatneusiedl vom 15. Februar 1928 wird ein bereits im Dezember
1927 behandeltes
Ansinnen der organisierten Gewerbetreibenden des Ortes – »Deutsch-österreichischer Gewerbebund« und »Verband der sozialdemokratischen Gewerbetreibenden und Kaufleute Österreichs« –
neuerlich diskutiert, da diese in einem neuen Gesuch um ein Vorgehen der
Gemeinde gegen Hausierer in Gramatneusiedl bitten. ( Dokument.)
Das Ansuchen wird von der Gemeindevertretung einstimmig abgelehnt. ( Dokument.)
Weiters wird das Ersuchen der »Mietervereinigung
Österreichs, Landesorganisation Niederösterreich, Lokalorganisation
Gramat-Neusiedl« vom 9. August
1927 (urgiert mit Schreiben vom 13. Februar 1928) unter Obmann Julius Jung (1894–1979), ein Gemeinde-Wohnhaus zur Linderung der Wohnungsnot zu errichten, mit dem Hinweis auf die angespannte finanzielle Lage angesichts des geplanten Baus einer
Hauptschule einstimmig abgelehnt. Es wird – übrigens unter dem nunmehrigen Bürgermeister Julius Jung – bis
1956 dauern, dass der erste Gemeindebau Gramatneusiedls begonnen wird, der dann
im Juni 1958
bezogen werden kann. (
Dokument.)
Außerdem wird einstimmig beschlossen, dem noch im Februar 1928 zu gründenden »Niederösterreichischen Gemeindeverband« beizutreten.
Schließlich wird beschlossen, dem Ansuchen des Obmanns des »Männer-Gesang-Vereins
›Geselligkeit‹ Marienthal«, Sebastian Geiger (1859–1943), stattzugeben, anlässlich des hundertsten Todestages von Franz Schubert (1797–1828)
am Hauptplatz, Ecke Kaiseraugasse, eine
Schubert-Linde zu pflanzen. Aufstellung und Einzäunung (1959
restauriert und
2009
entfernt) bestreiten die
Freie Gemeinde Gramatneusiedl, für die Gedenktafel am Fuße des Baumes muss der Verein sorgen: »1828 1928 / Dem Andenken / des deutschen Liederfürsten / Franz Schubert / M(änner) G(esang) V(erein)
›Geselligkeit‹, Marienthal«. ( Dokument.) Bereits im März 1904 spendete der »Männer-Gesang-Verein ›Geselligkeit‹ Marienthal« sechs Kronen für die Not leidende Nichte des Komponisten,
Anna Siegmund (geborene Schubert). Eine fast gleich lautende und gestaltete Tafel des »Deutschen Männer-Gesang-Vereins Moosbrunn«
befindet sich übrigens vor der Kirche in der Nachbargemeinde Moosbrunn
(Niederösterreich). ( Dokument.)

1928
In der Sitzung
der Gemeindevertretung von
Gramatneusiedl vom 7. März 1928 wird die Pflasterung der
Oberortsstraße einstimmig beschlossen.

1928
In der Sitzung
der Gemeindevertretung von Gramatneusiedl vom 18. April 1928 wird die Eröffnung und der
Bau einer
Hauptschule für Knaben und Mädchen in Gramatneusiedl einstimmig, also auch mit den Stimmen der »Christlichsozialen Wirtschafts-, Gewerbe-, Hausbesitzer- und Bürgerpartei«, beschlossen. Über die Beweggründe der sozialdemokratischen Mehrheit für die Inangriffnahme dieses Projekts berichtet der
langjährige Finanzreferent der Gemeinde, der Textilarbeiter Rudolf Theuer (1876–1940), wobei er auch die Rolle der Vereinigten Staaten von Amerika im Wirtschaftsleben und die Bedeutung der
Textilfabrik Marienthal für die
Freie Gemeinde Gramatneusiedl behandelt. Mit der Planung des
Neubaus (etwa auf dem Areal des heutigen Siedlungshauses
Neubau 1) wird der Wiener Architekt
Leo Kammel
(1885–1948) beauftragt. ( Dokument.)

1928
Im Mai 1928 werden die
Kirche Sankt Peter und Paul außen renoviert, das Ziffernblatt der Turmuhr gestrichen und das Blechdach des Kirchturms ausgebessert.

1928
Mit dem Bundesgesetz vom 18. Juli 1928 wird das Landarbeiterversicherungsgesetz (Kranken-, Unfall- und Invalidenversicherung für Land- und Forstarbeiter) kundgemacht, welches in all seinen Teilen mit 1. Januar 1929 in Kraft tritt.

1928
Im Juli und August 1928 wird durch den Stadt-Maurermeister Richard Hums
aus Sommerein (Niederösterreich) in der
Oberortsstraße ein Brunnen gebohrt, um im Brandfall genügend Wasser zur Verfügung zu haben.

1928
Im August 1928 wird als Gegenstück zum sozialdemokratischen Verein »Kinderfreunde« auf Initiative des Kooperators
Leopold Eder
(1899–1963) die Ortsgruppe Gramatneusiedl der katholischen Jugendorganisation »Verein ›Frohe Kindheit‹« gegründet, deren erster Obmann er wird. Die Knaben werden zunächst von Anna Svehla (1892–1972) betreut und seit
1932 in der Pfadfindergruppe Gramatneusiedl organisiert, die Mädchen in Engelsgruppen zusammengefasst, zunächst ebenfalls von Anna Svehla betreut und seit
1931 von den
»Mariahilfschwestern Don Boscos« des
Kindergartens. Der Verein wird
1938 von den Nationalsozialisten behördlich aufgelöst.
Kooperator Leopold Eder stellt am 30. September 1928 als Obmann ein Ansuchen um Unterstützung des »Vereins ›Frohe Kindheit‹« für Bildungs- und Erziehungszwecke der katholischen Jugend, welches in der
Sitzung der Gemeindevertretung von Gramatneusiedl vom 22. Oktober 1928 einstimmig abgelehnt wird, und zwar mit dem Hinweis, dass alle derartigen Gesuche angesichts des bevorstehenden Baus einer
Hauptschule
so behandelt werden. ( Dokument.)

1928
Mit Beginn des Schuljahres 1928/29 wird die
Hauptschule Gramatneusiedl am 1. September
1928 eröffnet, zunächst noch in den Räumlichkeiten der Volksschule.

1928
Im September 1928 erleidet die Landwirtschaft Gramatneusiedls – wie in ganz Niederösterreich – erhebliche Schäden durch außerordentliche Fröste.

1928
Am 10. Oktober 1928 ersucht Anna Gartner, geborene Meindl (1883–1971), die bereits in der Siedlung
Neu-Reisenberg »Anna Gartner’s
Elite-Ton-Kino Marienthal-Reisenberg« im Hof des Gasthauses »Zum Südpol«,
Reisenberg 136 (heute Reisenbergerstraße 11), betreibt, die
Freie Gemeinde
Gramatneusiedl um käufliche Überlassung eines Grundstückes auf der Hutweide an der Hauptstraße, um hier ein weiteres Kino zu erbauen. Dies ist deshalb notwendig, weil sie den
1919 für den Bau eines
Kinos erworbenen Grund wegen des geplanten Baus der
Hauptschule an die Gemeinde zurückverkaufen muss. Angesichts der angespannten wirtschaftlichen Lage sieht Anna Gartner später von der Eröffnung eines weiteren Kinos ab und verkauft den neben dem
Kaffeehaus,
Hauptstraße 25, gelegenen Grund
1931 an die Gemeinde zurück.

1928
In der Sitzung
der Gemeindevertretung von Gramatneusiedl vom 18. April 1928 wird das Ansuchen des Fabrikdirektors Hermann
Gebauer (1870–1955) zur Erteilung einer Kaffeehauskonzession behandelt, doch wird mit der Entscheidung bis zur Fertigstellung des Baus in der Hauptstraße zugewartet. Mit Erlass der
Niederösterreichischen Landesregierung vom 6. November 1928 wird die Konzession gewährt. Kurz danach wird dieses erste Kaffeehaus des Ortes, Gramatneusiedl 173 (ab 1961: Hauptstraße 25), eröffnet. Das nahe der Grenze zur Fabrik und Arbeiterkolonie
Marienthal gelegene Lokal, in seiner Ausstattung (etwa mit einem Billardtisch) wie auch in seinem Angebot an Zeitungen einem Wiener Kaffeehaus nachempfunden, ist durchaus als Indikator für den allgemeinen Aufschwung des Ortes zu sehen.

1928
Unter Mithilfe der katholischen Bevölkerung Gramatneusiedls beginnt man im Herbst 1928 mit dem Bau des
Katholischen Vereins- und Kinderheims, Gramatneusiedl 174 (ab 1961: Georg Grausam-Gasse 1), auf den
1926 und
1927 erworbenen Grundstücken. Dafür hatte der »Katholische Mädchenbund«, auf den die eigentliche Anregung zu diesem Bau zurückgeht, 3.000 Schilling gesammelt. Weitere 5.000 Schilling stellt die Erzdiözese Wien zur Verfügung, und der Rest der
Baukosten wird über Schuldverschreibungen (»Bausteine«) bei Mitgliedern der Pfarrgemeinde aufgebracht.
Das Gebäude wird im Dezember 1928 vom Schriftsteller und Redemptoristenpater Adolf Innerkofler (1872–1942) eingeweiht.
( Denkbuch Moosbrunn.)
Damit hat die katholische Jugend des Ortes eine eigene Heimstätte, wobei die Knaben von Anna Svehla (1892–1972), die Mädchen von den
Schwestern der
Kinderbewahranstalt betreut werden. Im Gebäude, das nunmehr der Filialkirche Gramatneusiedl überschrieben wird, ist auch die vom »Katholischen Mädchenbund« betreute Bibliothek untergebracht, welche 1936 etwa 300 Bände umfasst. Außerdem gibt es im Heim einen am 21. Dezember 1928 baupolizeilich kommissionierten
Theater- und Versammlungssaal mit eigener Bühne, der für 150 und unter
Einbeziehung des Versammlungszimmers für 200 Personen zugelassen ist. ( Dokument.)

1928
Mit Beschluss der Niederösterreichischen Landesregierung vom 5. Dezember 1928 müssen Schulen, Gemeindebauten und andere öffentliche Gebäude mit Tafeln versehen werden, die den Namen der Institution ausweisen.

© Reinhard Müller
Stand: Juni
2010
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