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Kriminalpolizeiliches Vernehmungsprotokoll Marie Jahodas Wien, am 1. Dezember 1936 Niederschrift aufgenommen am 1. Dezember 1936 10 Uhr 30 bei der Bundespolizeidirektion in Wien mit Dr. Maria Lazarsfeld-Jahoda. Nationale im Akt, welche über neuerlichen Vorhalt angibt:Ich bleibe dabei, dass ich mich nie mit illegaler Arbeit befasst habe. Die gelegentlich der Leibesdurchsuchung bei mir vorgefundenen Druckschriften habe ich, wie ich bereits angegeben habe, einen Tag vor meiner Festnahme von einem Freund erhalten, dessen Name ich auf keinen Fall angebe. Das Material wurde mir von diesem Mann in die Forschungsstelle gebracht und dort übergeben. Es war das erstemal, dass mir dieser Mann derartige Druckschriften übergab. Wenn ich gefragt werde, warum mir dieser Mann dieses Material übergeben hat, so kann ich nur angeben, dass er wahrscheinlich angenommen hat, dass ich mich dafür interessiere. Die bei mir vorgefundenen französischen und die vorgefundenen spanischen Zeitungen habe ich bereits seit langer Zeit abonniert und erhalte ich sie per Post zugesandt. Über Befragen: Die Exemplare der Arbeiter-Zeitung, die Broschüre dann die Exemplare »Informationsdienst«,1 sowie Nachrichtendienst2 hatte ich in meiner Handtasche verwahrt gehabt und erst beim behördlichen Einschreiten an mich genommen. Über Befragen: Vom Jahre 1931 bis zum Jahre 1932 war ich im »Gesellschafts- und Wirtschaftsmuseum,« das damals in Wien XIV. Ullmannstarsse [!] untergebracht war, als Assistentin beschäftigt.3 Ing [Friedrich] Jahnel war zu dieser Zeit ebenfalls an dem genannten Museum beschäftigt. Ich bin mit Ing Jahnel persönlich befreundet und sehe ihn öfters. Er pflegte mich auch manchmal in der Forschungsstelle aufzusuchen. Ich bestreite aber, dass zwischen mir und lng. Jahnel irgendwelche politische Beziehungen bestanden. Wenn mir vorgehalten wird, dass an der Arbeitsstätte des Ing. Jahnel gleichartige illegale Druckschriften gefunden wurden, so erkläre ich trotzdem, dass ich die bei mir vorgefundenen nicht von dem Genannten erhalten habe, und bleibe dabei, dass ich mit Ing. Jahnel Vom Dezember 1933 bis zum November 1934 war ich an verschiedenen Volks- und Hauptschulen in Wien als Hilfslehrerin beschäftigt, zuletzt an der Schule am Herderplatz. Bereits seit dem Jahre 1932 habe ich im damaligen Verein »Wir[t]schaftspsychologische Forschungsstelle« wissenschaftlich mitgearbeitet. Ich wurde aber nur halbtägig beschäftigt. Präsident des Vereines war der Universitätsprofessor Dr. Karl Bühler. Mein Mann Dr. Paul Lazarsfeld und Dr. Hans Zeisel, dessen Anschrift ist mir gegenwärtig nicht mehr erinnerlich, waren die wissenschaftlichen Leiter. Mein gewesener Mann Dr. Paul Lazarsfeld Von ungefähr 5. Dezember 1935 bis Ende Jänner 1936 weilte ich wissenschaftlicher Arbeiten wegen in Frankreich, Belgien und Holland. In Paris suchte ich Dr. Hermann Maria Spitzer, der dortselbst wohnhaft ist und der Generalsekretär einer internationalen Warenhausvereinigung ist, auf und suchte ihn für die Arbeit der Forschungsstelle zu interessieren, nachdem er bereits früher Wilhelmine Lettner ist nicht Angestellte der Forschungsstelle, sondern leistete sie mir als Stenotypistin bei meiner Arbeit – Einfluss der Arbeitslosigkeit auf die Autorität der Eltern8 – Dienste. Sie wird von mir entlohnt. Den Auftrag zu dieser Arbeit erhielt ich von dem »Institut de Recherches sozial [!]«das seine administrative Leitung in Genf, seine wissenschaftliche Leitung in New York hat. Über Befragen: Wilhelmine Lettner kenne ich seit ungefähr 5 Jahren und zwar lernte ich sie gelegentlich eines Skiausfluges kennen. Ich stand mit ihr im [B]riefwechsel und traf auch manchmal dann mit ihr zusammen, wenn ich in die Umgebung von Traisen9 einen Skiausflug unternahm. Über ihre Als Leiterin der wissenschaftlichen Abteilung der Forschungsstelle obliegt mir unter anderem auch die Aufnahme und die Beschäftigung der Rechercheure. Es ist wohl vorgekommen, dass Heinrich Faludi mir Leute als Rechercheure empfohlen hat. Derartigen Empfehlungen, bin ich selbstverständlich soweit es mir nur möglich war, nachgekommen. Ich betone, dass ich mich bei Aufnahmen bez[iehungs]w[eise] bei der Beschäftigung von Rechercheuren nur von dem Gedanken leiten ließ, Menschen, die in Not geraten waren, und sich geistig hiefür eigneten, zu helfen. Keineswegs aber war für mich die politische Einstellung dieser Leute maßgebend. Ich habe mich für die politische Einstellung der Rechercheure nicht im geringsten interessiert, und ist mir deren Einstellung überhaupt nicht bekannt. Wenn mir vorgehalten wird, dass es sich größtenteils um linksgerichtete Elemente handelt, so verweise ich darauf, dass ich selbst seinerzei[t] in der Jugendbewegung der ehemaligen soz[ial]dem[okratischen] Arbeiterpartei tätig war, viele Bekannte aus dieser Bewegung hatte, die sich dann, wenn sie in Notlage waren, naturgegebenerweise an mich wandten. Über Befragen: Dr. Frieda Goldman ist Donnerstag den 26. Oktober 1936 als Volonteurin bei der Forschungsstelle eingetreten. Sie wurde mir von Frau Dr. Gertrude Wagner empfohlen. Anny Feuermann wird seit ungefähr 4 Wochen als Rechercheurin verwendet. Sie wurde von niemand empfohlen, sondern wandte sich direkt mit der Bitte um Beschäftigung an mich. Ich verwendete sie als Rechercheurin bei den Marktanalysen für das Seidenhaus Miller und für die Kaffeefirma Titze. Eduard Kalischer10 war mit der mir bekannten im August 1935 verstorbenen Dr. Elli Herzfeld, IX. Rossauerlände Nr. 21 wohnhaft gewesenen, befreundet. Kalischer der sich mit der Bitte um Beschäftigung direkt an mich gewandt hatte, wird seit ungefähr einem halben Jahre als Rechercheur beschäftigt. Ich wußte von ihm, dass er sich in großer Notlage befindet. Dr. Friedrich Zerner wird von der Forschungsstelle nicht beschäftigt. Es ist vorgekommen, dass er mich gelegentlich beraten hat. Ich bin mit Dr. Zerner insoferne verschwägert, als er der Mann der Schwester meines gewesenen Gatten11 ist. Seine Schwester Elise Zerner, ist wie ich bereits angegeben habe in der wissenschaftlichen Abteilung beschäftigt. Mir war wohl ihre politische Vergangenheit bekannt, doch habe ich sie trotzdem aus Mitleid beschäftigt, da sie sich nach der Haftentlassung in den denkbar schlechtesten finanziellen Verhältnissen befand. Wenn Dr. Friedrich Zerner die Forschungsstelle aufsuchte, so haben die Besuche nur mir oder seiner Schwester gegolten und haben diese mit den Arbeiten der Forschungsstelle nichts zu tun. Dr. Ernst Dichter12 ist mir vom psychologischen Institut der Universität her bekannt und verwendete ich ihn über sein Ersuchen fallweise für besonders schwierige Recherchen. Gisela Ornstein13 ist mit Frau Dr. Weil befreundet, und wird gelegentlich als Rechercheurin verwendet. Josef Eugen Kun14 kenne ich überhaupt nicht. Ich will hier ausdrücklich feststellen, dass für die gesamte Arbeit der Forschungsstelle einzig und allein ich verantwortlich bin. Nach Übergabe eines verschlossenen Briefes aus Genf und Öffnen desselben: Ich stelle den Inhalt des Schreibens der Behörde zur Verfügung. Beendet 14 Uhr 15 V[erstanden,] g[elesen und] g[ezeichnet]
Cm: Dr. Stegerwald m.p.
Dr. Maria Jahoda-Lazarsfeld m.p. Quelle: Wiener Stadt- und Landesarchiv, Wien, Landesgericht für Strafsachen Wien, Vr 10981/36.
1 Informationsdienst
der Revolutionären Sozialisten [Wien], [1.–2.] Jg.
(1936–1937); illegales Organ der »Revolutionären
Sozialisten Österreichs«.
Anmerkung Reinhard Müller.
2 Nachrichten-Dienst
der Revolutionären Sozialisten [Wien], [1.–2.] Jg.
(1936–1937); illegales Organ der »Revolutionären
Sozialisten Österreichs«.
Anmerkung Reinhard Müller.
3 Tatsächlich
dürfte Marie Jahoda vom Herbst 1932 bis Herbst 1933 hier tätig
gewesen sein. Anmerkung
Reinhard Müller.
4 Tatsächlich
emigrierte Gertrude Wagner erst im Februar 1936 nach London.
Anmerkung Reinhard Müller.
5 Theodor
Neumann (Wien 1908 – ?): Jurist, Mitglied der
»(Arbeitsgemeinschaft der Mitarbeiter der) Österreichischen
Wirtschaftspsychologischen Forschungsstelle«.
Anmerkung Reinhard Müller.
6 Hedwig
Weil (Wien 1899 – ?): Wirtschaftspsychologin, Mitglied der
»Arbeitsgemeinschaft der Mitarbeiter der Österreichischen
Wirtschaftspsychologischen Forschungsstelle«. Anmerkung
Reinhard Müller.
7 Gertrude
»Gerti« Kral (Wien 1902 – ?): Studentin, Mitglied
der »Arbeitsgemeinschaft der Mitarbeiter der Österreichischen
Wirtschaftspsychologischen Forschungsstelle«. Anmerkung
Reinhard Müller.
8 Vgl.
den Aufsatz von Marie Jahoda-Lazarsfeld: Autorität
und Erziehung in der Familie, Schule und Jugendbewegung
Österreichs<00_01_1936_01>,
in: Studien über Autorität und Familie. Forschungsberichte
aus dem Institut für Sozialforschung. Band
2. Paris: Librairie Félix Alcan 1936, S. 706–725.
Anmerkung
Reinhard Müller.
9 Traisen:
Markt in Niederösterreich. Anmerkung
Reinhard Müller.
10 Eduard
Kalischer: sozialdemokratischer Journalist. Anmerkung
Reinhard Müller.
11 D.i.
Elisabeth Henriette Zerner, geborene Lazarsfeld (Wien 1903 –
Paris 1983): Inhaberin eines Vervielfältigungsbüros, im
Exil als Übersetzerin tätig. Anmerkung
Reinhard Müller.
12 Ernest
Dichter (Wien 1907 – Peekskill, New York 1991): Werbeberater
und Marktforscher, zeitweise für die »Österreichische
Wirtschaftspsychologische Forschungsstelle« tätig.
Anmerkung
Reinhard Müller.
13 Gisela
Ornstein (Wien 1914 – ?): Studentin, emigrierte 1940 in die
USA. Anmerkung
Reinhard Müller.
14 Josef
Eugen Kun (Budapest 1887 – ?): Publizist und Journalist,
Esperantist, später Generaldirektor der
Versicherungsgesellschaft »Confidentia«. Anmerkung
Reinhard Müller.
© Reinhard Müller -- Graz, im Oktober 2006 |
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