Erinnerungen an
Marienthal
Lotte Schenk-Danzinger im Gespräch mit
Christian Fleck
Wien, am 14. Juni
1988
Auszugsweise und von
Reinhard Müller redigierte Wiedergabe eines Interviews von
Christian Fleck mit Lotte Schenk-Danzinger.
Quelle: Archiv für die Geschichte der Soziologie in Österreich
(Graz),
Tondokumente,
Signatur T–6.
Die Veröffentlichung erfolgt mit
freundlicher Genehmigung von Christian Fleck, Graz, und dem Archiv für
die Geschichte der Soziologie in Österreich (Graz).
Darf ich damit beginnen, dass Sie mir
ein wenig über Ihre Biografie erzählen, vielleicht auch ein bisschen
über den familiären Hintergrund, und wie Sie zur Soziologie gekommen
sind?
Ich wollte ursprünglich Geschichte und
Geografie studieren. Ich habe mich mit einer Lehrerin, die ich sehr gern
gehabt habe, sehr identifiziert, eine Lehrerin, die ich in Geschichte
hatte. Ich habe dann nach der Matura aber rasch die englische
Staatsprüfung gemacht und wollte damit Geld verdienen. Ich habe aus der
[sozialistischen] Mittelschülerbewegung einen Kollegen gekannt, dessen
Vater ein großes Tier in der Schulverwaltung war, und den habe ich
gebeten, seinen Vater zu fragen, ob ich mit meiner englischen
Staatsprüfung irgendwas im Schulbereich anfangen kann. Der hat mich also
rufen lassen, hat gesagt, ich soll in seine Sprechstunde kommen, und da
hat er mir gesagt: »Schauen Sie, mit Englisch allein können Sie nichts
anfangen, aber es laufen doch jetzt bei uns die Kurse zur
hochschulmäßigen Lehrerbildung.«
Das war etwas, was es damals einige Jahre gab und was dann wieder
abgewürgt wurde. »Machen Sie so einen zweijährigen Kurs, und dann sind
Sie ausgebildete Volksschullehrerin. Dann können Sie alles machen.« Na,
ich habe das sofort aufgegriffen, habe mich angemeldet und habe zwei
Jahre diese hochschulmäßige Lehrerbildung gemacht. In unserem Programm,
man wollte das ja auch irgendwie hochschulmäßig aufziehen, waren die
Vorlesungen von
Karl Bühler und
Charlotte Bühler vorgeschrieben, und die musste man besuchen.
Und das war für mich eine Schlüsselerlebnis. Die Vorlesung von Charlotte
Bühler: Da habe ich das Gefühl gehabt: das oder nichts. Und so habe ich
ganz außer Programm bei ihr ein Kolloquium in Sozialpsychologie gemacht,
mit dem Ziel, mit ihr allein sprechen zu können und sie um einen
Arbeitsplatz in der Kinderübernahmestelle
zu bitten, wo wir damals die praktische Ausbildung gemacht haben. Na,
und das ist gelungen. Ich habe dieses Kolloquium bestanden und habe sie
um einen Arbeitsplatz gebeten, habe ihn gekriegt und habe dann
angefangen, an der Kinderübernahmestelle zu arbeiten: Testen der
Kleinkinder und alle diese Sachen, Beobachtungen. Ich war dann in
kürzester Zeit ihre Assistentin, und nachdem
Hildegard Hetzer nach Königsberg gegangen ist,
war ich lange Zeit erste Assistentin. Im Jahre 1935 hat Charlotte Bühler
in London ein Institut eingerichtet, The Parents’ Association Institute,
und da bin ich dann für zwei Jahre nach London und habe dieses Institut
geleitet. Sie ist ja immer nur sporadisch gekommen. Und 1937 bin ich
dann zurück nach Wien und habe hier geheiratet. Na, und dann war eh bald
alles aus. Also, das war mein Einstieg in die Psychologie. Ich habe sehr
rasch studiert, habe schon nach acht Semestern mein Doktorat gehabt,
nicht, und meine Dissertation war eigentlich ein sozialpsychologisches
Thema. Die Hetzer hat damals diese Arbeiten über »Kindheit und Armut«
gemacht, und in diesem Rahmen entstand meine Dissertation »Pflegemutter
und Pflegekind«.
Das ist dadurch möglich gewesen, dass man in der Kinderübernahmestelle
die Pflegemütter, die dort hingekommen sind, um sich Kinder zu holen, zu
mir geschickt hat, und ich konnte dann mit denen ein Interview machen:
Gründe, warum sie sich ein Kind nehmen und was sie sich für
Vorstellungen machen, wie das Kind sein soll und was für Erfahrungen sie
mit Pflegekindern schon haben und so weiter. Das war also die
Dissertation.
Stand diese Arbeit von
Hildegard Hetzer über Armut auch in irgendeiner Beziehung mit der
Gemeinde Wien?
Na ja, insofern stand alles in Beziehung
mit der Gemeinde Wien, als ja
Charlotte Bühler nur über ihre Beziehungen zum damaligen Stadtrat
[Julius] Tandler
und zu dessen Freundin,
die Chefärztin an der Kinderübernahmestelle war, überhaupt in der
Kinderübernahmestelle arbeiten durfte. Die Kinderübernahmestelle war für
uns insofern sehr günstig, als da – für die Kinder furchtbar! –
Glasfenster waren; es waren Glaskäfige, in denen man die Kinder gehalten
hat, und man konnte durchschauen. Es war im Großen und Ganzen eine
Quarantänestation. Wir konnten auf den breiten Gängen mit den Studenten
alles beobachten, was die Kinder drinnen gemacht haben. Das war für uns
sehr günstig, nur für die Kinder war es furchtbar. Also das war eine
Zusammenarbeit mit Beziehungen zur Gemeinde Wien. Es gab noch eine
Beziehung zur Gemeinde insofern, als
Karl Bühler nicht nur Universitätsprofessor war, sondern auch einen
Vertrag über Vorlesungen am Pädagogischen Institut der Stadt Wien hatte.
Und das Institut überhaupt war im Gebäude des Stadtschulrates
untergebracht, wo wir damals ein ganzes Stockwerk gehabt hatten.
Darf ich noch was zum sozialen
Hintergrund fragen: Sie haben ganz am Anfang die Mittelschülerbewegung
erwähnt.
Ja, also ich war in der sozialistischen
Mittelschülerbewegung.
Wie stark war die intellektuelle
Prägung durch diese Schülerbewegung und durch die ganze Jugendbewegung?
Das ist schwer zu sagen. Wie soll ich das
beschreiben? Man war begeistert, natürlich, man war stark engagiert.
Und das Interesse an wissenschaftlichen
Fragen, wodurch wurde das ausgelöst? Oder kam das auch aus dieser
pädagogischen Begeisterung?
Nein, ich glaube, das Interesse an
wissenschaftlichen Fragen war gar nicht so ausgeprägt. Wir waren schon
sehr auf die Praxis orientiert. Aber wie soll ich das sagen? Durch die
Vorlesungen hat sich eine wissenschaftliche Art des Denkens eingestellt.
Und vielleicht war man, indem man versucht hatte, der ganzen Ausbildung
einen echt hochschulmäßigen Charakter zu geben, an theoretischen
Einstellungen mehr interessiert als in der heutigen Lehrerausbildung.
Und dann war es ja so, dass man natürlich alle diese Neuerungen
wissenschaftlich begründen wollte. Man hat sie also von der
Kinderpsychologie her zu begründen versucht.
Ich war vorher, also während meiner
Mittelschulzeit, bei den Pfadfinderinnen. Ich war auch eine Zeit lang
Führerin in so einer Pfadfindergruppe. Und da war ich natürlich schon
angesteckt von diesen Ideen der Selbstständigkeit, der Loslösung von den
Eltern und so weiter. Ich habe selbst keine Probleme gehabt, weil ich
von zu Haus aus keine Beschränkungen gehabt habe. Ich habe immer
gemacht, was ich wollte. Aber da war natürlich die Idee der Ablösung von
den verzopften Ideen: Wir sind jung, die Welt ist offen und so weiter.
War die Aktivität in dieser
Schülerbewegung auch mit Generationskonflikten verbunden, mit
politischen Konflikten?
Sicher in vielen Fällen. Aber die meisten
Kollegen, die ich in dieser sozialistischen Mittelschülerbewegung hatte,
waren die Kinder von Sozialisten. Wissen Sie, die hatten insofern keine
Schwierigkeiten, als sie sozusagen in die Fußstapfen ihrer Eltern
getreten sind.
War das die Regel?
Ich würde sagen, ja. Es waren also sehr
viele. Die meisten, an die ich mich erinnern kann, waren die Kinder von
irgendwelchen Funktionären oder so.
Darf ich fragen, was Ihre Eltern waren?
Mein Vater war Apotheker.
Er hat aber eine Drogerie gehabt, und meine Mutter hat im Geschäft
mitgearbeitet. Und nach seinem Tod – er war dann im Weltkrieg
eingerückt – hat meine Mutter das Geschäft selbstständig weitergeführt
und hat eine eigene Konzession als Belohnung bekommen. Nachdem mein
Vater relativ früh an einem Schlaganfall gestorben ist, hat meine Mutter
das Geschäft selbstständig geführt. Ich habe mit meinen Eltern nur damit
Schwierigkeiten gehabt, dass mein Vater wollte, dass ich das Geschäft
übernehme. Ich wollte aber studieren. Und das war der einzige Konflikt,
den ich zu Hause hatte. Aber sonst gab es keine Probleme.
Diese Lehrerausbildung war dann Ihr
Kompromiss zwischen Studium und Beruf?
Na ja, es war eigentlich ein Versuch,
möglichst bald finanziell selbstständig zu werden. Es hat sich dann aber
so entwickelt, dass ich zwar diese Lehrerbildung abgeschlossen habe,
dass ich aber mit dem Institut, mit
Charlotte Bühler, schon eng verwickelt war. Ich wurde dann im
Rahmen eines
Rockefeller-Stipendiums angestellt, so dass ich keine
finanziellen Probleme mehr hatte. Wir waren für die damaligen
Verhältnisse sehr gut bezahlt: für eine Halbtagsarbeit 500 Schilling.
Das war damals sehr viel Geld, so dass ich keine finanziellen Probleme
gehabt habe. Vom Stadtschulrat hat man mich dann gefragt: »Wollen Sie
sich denn nicht als Lehrerin anstellen lassen?« Man hat schon die
faschistische Zeit kommen sehen, wo ich dann mit meiner sozialistischen
Mittelschülervergangenheit nicht mehr drangekommen, nicht mehr
hineingekommen wäre. Ich habe also gesagt: »Nein, ich kann nicht weg von
den Bühlers.« Und dann bin ich weg, bin ich also nach London auf zwei
Jahre, bin 1937 zurückgekommen, habe geheiratet und habe dann nicht mehr
gearbeitet. Ich habe Kinder gehabt und war also im Krieg mit den Kindern
evakuiert in Tirol.
Standen Sie außer mit den Bühlers noch
mit irgend jemandem an der Universität in einem engeren Verhältnis?
Nein. Ich habe also angefangen, Geschichte
und Geografie zu studieren, bin dann sehr bald draufgekommen, dass ich
für Geografie völlig ungeeignet bin und bin dann zur Psychologie
übergegangen und habe Geschichte nur als Nebenfach gehabt.
Sie haben früher
Paul Lazarsfeld erwähnt. Welche Rolle hat er da eigentlich
gespielt?
Na ja, er war Assistent für Statistik. Er
war ja Mittelschullehrer für Mathematik und hat lange Zeit neben seiner
Tätigkeit am Institut auch noch als Mathematiklehrer an einer
Mittelschule gearbeitet. Und dann ist er freigestellt worden und war
ganz am Institut. Der war eigentlich unser Statistiker. Also wenn wir
irgendwelche Zahlen gehabt haben, haben wir nie was selber gerechnet.
Wir haben gesagt: »Du, ich habe die Zahlen da, rechne mir das durch,
schaue, was da rauskommt.« Da hat er das gemacht. Er hat sich aber dann
aus welchen Gründen immer – ich weiß sie nicht – auf diese
Wirtschaftspsychologie geworfen. Wir haben da gemeinsam zum Beispiel
eine große Erhebung für die Anker-Brotfabrik gemacht.
Aufgrund unserer Publikumsbefragungen – da war ich auch dabei – ist dann
dieses große Plakat gekommen: »Worauf freut sich der Wiener, wenn er vom
Urlaub kommt? Auf Hochquell Wasser und Ankerbrot.«
Der Werbeslogan war ein Werbeslogan von ihm, den er aufgrund unserer
Publikumsbefragung gemacht hatte. Er hat dann auch für eine Schuhfabrik
und für eine Ofenfabrik Publikumsbefragungen gemacht, so, wie man das
auch heute noch macht. Er hat dafür eine eigene kleine Abteilung gehabt,
für diese
Wirtschaftspsychologie. Er hat aber auch diese große Arbeit über die
Arbeitslosen
in Marienthal gemacht: Das war schon richtig Sozialpsychologie. Er
hat das mit seiner ersten Frau gemacht, von der er dann geschieden
wurde:
Marie Jahoda.
Wien 1932, 34 X 37 cm (© Copyright)
Quelle:
Reinhard Müller (Graz)
Waren Sie an diesen Aktivitäten, diesen
Umfragen beteiligt?
Ja. Die waren also von Firmen bezahlt.
Lazarsfeld hat da ein eigenes kleines
Institut für Forschungen, für Wirtschaftspsychologie gehabt, das er
initiiert hatte.
Sie waren da auch beteiligt?
Ja. Ich bin bezahlt worden für die
Erhebungen, so wie heute die Studenten dafür bezahlt werden. Ich war
zwar damals keine Studentin mehr, aber ich habe das Geld auch ganz gern
gehabt, dafür, dass man also die Fragebogen mit den Leuten machte und
ablieferte.
Und
Marienthal?
Ich habe eine Zeitlang als Interviewer
gearbeitet, aber nicht sehr lange. Ich habe ein paar Interviews gemacht,
aber nicht viele.
Aber da muss offensichtlich eine sehr
große
Gruppe beteiligt gewesen sein?
Es war eine nicht sehr große Gruppe.
Nicht sehr groß?
Nein, nicht sehr groß. Ich glaube, sechs
vielleicht,
sechs oder sieben Leute. Ich glaube, die Gruppe war nicht sehr groß,
nur: Ich weiß es nicht genau.
Können Sie sich erinnern: Wie ist es
dazu überhaupt gekommen? Das ist doch von der Sozialpsychologie noch ein
Schritt weiter: Arbeitslosenforschung.
Ja, na ja,
Lazarsfeld war wirklich sehr kreativ.
Weil Sie Lazarsfeld erwähnen:
Paul Lazarsfeld dankt Ihnen in seinem Vorwort zur
Marienthal-Studie. Da erwähnt er Sie als eine der Mitarbeiterinnen
besonders.
Na ja, ich habe eine Zeitlang dort gewohnt
und habe ein paar Interviews gemacht. Aber ich habe es sehr gehasst.
Ja?
Ja, ich habe es sehr gehasst. Und dann
haben sie mich aufgefordert mitzuarbeiten, und ich wollte nicht. Ich
weiß nicht, ich war irgendwie angefressen. Und es gab auch etwas
anderes, nicht: Die Beziehung zu meinem späteren Mann hat sich
verdichtet und so weiter. Also, ich habe auch persönliche Gründe gehabt.
Ich habe einfach nimmermehr wollen. Und das war aber eigentlich ganz
gut, denn die meisten Leute, die in
Marienthal
mitgearbeitet hatten, haben nachher Schwierigkeiten gehabt. Ich habe
keine gehabt. Das konnte ich ja nicht voraussehen, aber ich habe also
keine Schwierigkeiten gehabt. Und die hätte ich auch gar nicht brauchen
können, mit kleinen Kindern, nicht.
Sie haben in Marienthal gelebt?
Ja, ich habe ein grässliches, furchtbares
Zimmer gehabt, fürchterlich. Das war
eine Woche oder zehn Tage vielleicht.
Aber in dieser Zeit waren Sie sozusagen
rund um die Uhr im Einsatz?
Ja. Ich bin halt in der Früh ausgezogen,
habe ein paar Interviews mit verschiedenen Familien gemacht und habe das
dann am Nachmittag aufgeschrieben. Das musste ja abgeschrieben werden.
Man konnte vor den Leuten ja nicht schreiben, sonst hätten sie ja sofort
aufgehört. Man musste Gedächtnisprotokolle machen. Aber das alles
dauerte nicht lang. Es waren nach mir und auch schon vorher Leute dort
in Marienthal.
Und diese Interviews: Waren die
schwierig mit den Leuten?
Ich kann mich nicht erinnern. Ich habe das
sehr verdrängt, ich habe das nicht leiden können. Ich habe das
sehr verdrängt. Aber, mein
Gott, ich komme leicht aus mit Leuten. Die waren ganz freundlich. Ich
meine, es war niemand, der einen zurückgewiesen hätte oder so.
Warum konnten Sie das nicht leiden?
Weiß nicht, ich weiß nicht. Erstens, weil
ich an sich Leute sehr ungern ausfrage. Ich habe immer ein bisschen
Hemmungen und ein unangenehmes Gefühl: Was geht mich das an und so
weiter? Aber ich habe mitgemacht, weil es mich zuerst interessiert hat;
aber dann nicht mehr. Dann habe ich bei der Auswertung nichts mehr
gemacht. Sie haben mich schon eingeladen dazu, aber ich habe nicht
wollen.
Und
Marie Jahoda?
Na ja, sie war schon daran beteiligt, vor
allem an der Auswertung, aber auch an der Befragung. Sie war also eine
Zeit lang dort.
Ja, und der dritte Autor:
Hans Zeisel?
Der ist dann auch emigriert, aber ich weiß
nicht mehr, was aus ihm geworden ist. Aber ich glaube, der war wieder in
Wien. Da war irgendeine Veranstaltung mit den Leuten, die also emigriert
sind: »Vertriebene Vernunft«.
Da habe ich gelesen – ich war nicht dort –, dass er da war.
Aber damals, in der Zeit vor 1934, da
war er nicht im Bühler-Institut?
Er war nicht im Bühler-Institut, er war
bei
Lazarsfeld, in dieser Gruppe, dieser
sozial- und wirtschaftspsychologischen Forschungsgruppe.
Und die war auch räumlich irgendwie
getrennt von dem Psychologie-Institut?
Ich weiß gar nicht. Ich glaube schon, dass
sie im Institut ein Zimmer gehabt haben, aber ich weiß es nicht genau.
Aber ich weiß, wir haben uns eigentlich immer dort getroffen, wenn
irgendwas war.
Im Bühler-Institut?
Ich glaube, es war dort. Die sind ja dann
in die Liebiggasse übersiedelt, und da war ja mehr Platz.

An
dem im Januar 1923 eröffneten Pädagogischen Institut der Stadt Wien,
welches der Fortbildung der Lehrer und Lehrerinnen sowie der
Vorbereitung auf die Lehrbefähigungsprüfung für Volksschulen und die
Prüfung für die einzelnen Fachgruppen der Bürgerschulen diente,
wurde seit dem Jahrgang 1925/26 der Hochschulmäßige
Lehrerbildungskurs – in Zusammenarbeit mit der Universität Wien –
durchgeführt. Zu den Lehrenden zählten unter anderem der
Individualpsychologe
Alfred Adler (1870–1937), der Soziologe und Philosoph
Max Adler (1873–1937) sowie der Staats- und
Rechtswissenschaftler Hans Kelsen (1881–1973). 1926/27 und 1927/28
besuchte auch
Lotte Schenk-Danzinger – also zeitgleich mit
Marie Jahoda – den Hochschulmäßigen Lehrerbildungskurs des
Pädagogischen Instituts der Stadt Wien.
Anmerkung
R.M.
Kinderübernahmestelle:
von der Stadt Wien getragenes Asyl für verlassene Kinder, das im Juni
1925 seinen Betrieb aufnahm. In einem neu errichteten Bau in Wien 9.,
Lustkandlgasse 50, wurden alle der Gemeinde zur Fürsorge übergebenen
Säuglinge, Kinder und Jugendlichen aufgenommen, beobachtet, und erst
danach erfolgte die Einleitung weiterer Fürsorgemaßnahmen. Nach einem
Umbau 1964/65 wurde die Kinderübernahmestelle schließlich 1985 mit
anderen Einrichtungen des Jugendamts zum Julius-Tandler-Familienzentrum
der Stadt Wien fusioniert. Anmerkung
R.M.
Hildegard
Hetzer arbeitete nie in Königsberg (Kaliningrad / Калининград,
Russland). Anmerkung
R.M.
Vgl.
Hildegard Hetzer: Kindheit und Armut. Psychologische Methoden in
Armutsforschung und Armutsbekämpfung. Leipzig:
S. Hirzel 1929 (= Psychologie der Fürsorge. 1.), XII, 314 S.; vgl.
Charlotte Danziger: Pflegemutter und Pflegekind. Philosophische
Dissertation, Universität Wien 1929 (Maschinenschrift).
Anmerkung
R.M.
Julius
Tandler (1869–1936): österreichischer Anatom und sozialdemokratischer
Sozialpolitiker österreichisch-tschechischer Herkunft; Dr. med.; 1895
bis 1899 Assistent an der I. Anatomischen Lehrkanzel der Universität
Wien; 1899 habilitiert für Anatomie; 1902 bis 1910 außerordentlicher
Universitätsprofessor und 1910 bis 1934 ordentlicher
Universitätsprofessor der Anatomie an der Universität Wien; 1919 bis
1933 Gemeinderat der Stadt Wien; 1919 bis 1920 Unterstaatssekretär für
Volksgesundheit; 1920 bis 1934 Amtsführender Stadtrat für
Wohlfahrtseinrichtungen, Jugendfürsorge und Gesundheitswesen der Stadt
Wien; einer der bedeutendsten Repräsentanten der Gesundheits- und
Fürsorgepolitik des »Roten Wien«; seit 1933 aus gesundheitlichen Gründen
auf Urlaub, 1934 aus politischen Gründen inhaftiert sowie als
Universitätsprofessor und Stadtrat amtsenthoben; nach internationalen
Protesten aus der Haft entlassen; 1934 bis 1935 Lehrtätigkeit in den USA
(New York University Medical School) und 1935 bis 1936 Berater in
Gesundheitsfragen in China (Nanking); 1936 Einladung in die Sowjetunion
zur Reformierung des Medizinstudiums sowie zur Reorganisation von
Ambulatorien und Spitälern; verstarb im Exil in Moskau (Москва).
Anmerkung
R.M.
D.i.
Gertrud Bien (1881–?): Wiener Ärztin und Psychologin; Dr. med.; eine der
ersten Frauen, die an der Medizinischen Fakultät der Universität Wien
promoviert wurden (1906); Chefärztin an der Kinderübernahmestelle in
Wien. – Für die Entschlüsselung der Person danke ich Gerhard Benetka
(Wien). Anmerkung
R.M.
Die
Eltern
Lotte Schenk-Danzingers waren Leo Erwin Danziger (1878–1937) und
Pauline, geborene Köstler (1880–1968).
Anmerkung
R.M.
Die
Erhebung erfolgte bereits im Rahmen der 1931 gegründeten »Österreichischen
Wirtschaftspsychologischen Forschungsstelle« in Wien. – Die
Ankerbrotfabrik geht auf die 1891 gegründete »Wiener Brot- und
Gebäckfabrik H(einrich) & F(ritz) Mendl« zurück, die als Logo den
Anker – Symbol des Vertrauens und der Sicherheit – führte, 1906 in
»Ankerbrotfabrik« umbenannt und 1922 in die
»Ankerbrot-Aktiengesellschaft« umgewandelt wurde. 1893 wurde die Fabrik
auf den heutigen Standort, Wien 10., Absberggasse, verlegt und
entwickelte sich rasch zu einem der größten Unternehmen der Branche.
1922 in eine Familien-Aktiengesellschaft umgewandelt, wurde das
Unternehmen 1938 »arisiert«. Seit 1997 ist das einstige Wiener
Paradeunternehmen in deutschem Besitz.
Anmerkung
R.M.
Das
Wiener Trinkwasser (Hochquellwasser) zeichnet sich durch eine
außerordentlich gute Qualität aus; bereits 1873 wurde die Erste
Hochquellenleitung (bis 1922: Erste
Kaiser-Franz-Joseph-Hochquellenleitung) eröffnet, die Wasser vom Fuß des
niederösterreichischen Schneeberg nach Wien transportierte; zahlreiche
Eingemeindungen und der allgemein gestiegene Wasserbedarf machten es
notwendig, die Zweite Hochquellenleitung zu errichten, die 1910 in
Betrieb ging; dieses Wasser kam von den Hängen des steirischen
Hochschwab. Anmerkung
R.M.
Hans
Zeisel nahm an der Tagung »Vertriebene Vernunft II. Emigration und
Exil österreichischer Wissenschaft 1930–1940« in Wien, Oktober 1987,
teil. Anmerkung
R.M.
© Archiv
für die Geschichte der Soziologie in Österreich
Stand:
Juni 2010
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