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Große Chronik von Gramatneusiedl, Marienthal und Neu-Reisenberg
1820 bis 1829
1820
Der Franziszeische Kataster weist für Gramatneusiedl mit Niederschrift vom 17. Februar 1820 die Gemeindegrenzen, mit Niederschrift vom 22. März 1820 insgesamt 50 Hausnummern aus, darunter 44 Häuser: drei Bauernhöfe sind Ganzlehen, 29 Halb- und einer ein Viertellehen;
außerdem gibt es vier Kleinhäusel. Dazu kommen der herrschaftliche Hof des Metropolitankapitel zu Sankt
Stephan (das so genannte Schloss), die Ladenmühle und die Theresienmühle sowie vier Gebäude im
Gemeindebesitz: das
Gemeindewirtshaus
Nr. 19 (ab 1826: Gramatneusiedl 2; ab 1961: Bahnstraße 5), das Halterhaus für den Viehhirten
Nr. 32 (ab 1826: Gramatneusiedl 15 & 55; ab 1961:
Hauptplatz 3), die
Schule
Nr. 33 (ab 1826: Gramatneusiedl 18; ab 1961: Oberortsstraße 3 /
Hauptplatz 6) und die an Bestandmüller verpachtete
Kiebitzmühle Nr. 44 (ab 1826: Gramatneusiedl 45; ab 1961:
Kiebitzmühle 1).

1820
Der pensionierte Polizeidirektor und k(aiserlich) k(önigliche) Rat Leopold Pausinger
(1763–1848) kauft mit seinen Ersparnissen im Herbst 1820 die Theresienmühle von Johann Nußdorfer und bestellt seinen Interessenten (eine Art
rechtlicher Teilhaber), den Kärntner Erfinder Franz Xaver Wurm (1786–1860), zum Direktor der zu gründenden Fabrik, welche für den 18. September
1820 erstmals urkundlich belegt ist. (
Dokument.) Wurm richtet in den Jahren bis
1823 mit von ihm selbst entwickelten Maschinen die »k(aiserlich) k(önigliche) priv(ilegierte) Flachs-
und Werg-Spinnfabrik zu Marienthal« an der Piesting (am heutigen Feilbach) ein: die erste Textilfabrik Marienthal.
(
Denkbuch Moosbrunn.)

1823
Der vermutlich 1820 aufgekommene Name »Marienthal« ist in den Taufmatriken der Pfarre Moosbrunn
(Niederösterreich) für den 24. Januar 1823 erstmals urkundlich belegt. (
Dokument.)

1823
1823 nimmt die »k(aiserlich) k(önigliche) priv(ilegierte) Flachs- und Werg-Spinnfabrik zu Marienthal« unter Leitung von Direktor Franz Xaver Wurm (1786–1860) den Betrieb auf. Die Fabrik zählt in diesem Jahr nur
19 Beschäftigte. (
Dokument.) Am 20. Juli 1823
erhalten Leopold Pausinger
(1763–1848)
und Wurm ein fünfjähriges ausschließliches Privilegium auf die Erfindung einer neuen Flachs- und Werg-Feinspinnmaschine, einer Werg-Reinigungsmaschine und einer Zwirnmaschine. Zuletzt
zählt das Unternehmen rund 120 Beschäftigte; mittels Wasserkraft werden 73 verschiedene Maschinen für Flachsband, Feinspinnerei, Wergband, Spagat, Seile, Gurten, Zwirn und so weiter betrieben, wie die einzige umfassende gedruckte Beschreibung der Fabrik belegt.
Die Flachs- und Wergspinnerei muss aber nach der im März 1826 erfolgten Verhaftung Wurms wegen Geldfälschung 1827 aus finanziellen Gründen geschlossen werden.

1823
Irgendwann zwischen 1823 und 1826 lässt der Englandbewunderer und Gärtnersohn Franz Xaver Wurm (1786–1860) hinter dem Fabrikgebäude der »k(aiserlich) k(öniglichen) priv(ilegierten) Flachs- und Werg-Spinnfabrik zu Marienthal«
einen englischen Garten anlegen, das Kernstück des
späteren Parks Herrengarten.

1824
Am 1. August 1824 ereignet sich ein Jagdunfall in Gramatneusiedl durch den Jagdinhaber: gróf Károly Zichy de Zich et Vasonkeö (1778–1834), königlich ungarischer Schatzmeister und Hofkammerpräsident, Obergespan des Komitats Moson / Wieselburg (heute
Komitat Győr-Moson-Sopron, Ungarn, sowie teilweise Österreich und Slowakei), erschießt
irrtümlich seinen Jagdgast und Freund, den Hofkonzipisten János Nepomuk de Mihalkovics (1775–1824). Lange Zeit erinnert ein Grabmonument nahe der Westseite der Kirche von Moosbrunn
(Niederösterreich) an dieses Ereignis. (
Denkbuch Moosbrunn.)

1824
Der Stabsoffizier und
Pferdezüchter Georg Ritter von Högelmüller (1770–1826) gründet am
24. Dezember 1824 eine private Brandschadenversicherung für
das
Erzherzogtum Österreich unter der Enns, die mit 1. Januar
1825 als »Wechselseitige k(aiserlich) k(önigliche) priv(ilegierte)
Brandschaden-Versicherungs-Anstalt« ihre Tätigkeit aufnimmt.

1825
Im September 1825 erscheint ein Bericht
über die
erste Textilfabrik Marienthal von
Leopold Pausinger (1763–1848) und
Franz Xaver Wurm (1786–1860). (
Text.)

1826
Am 10. März 1826 wird der Direktor der »k(aiserlich) k(öniglichen) priv(ilegierten) Flachs- und Werg-Spinnfabrik zu Marienthal« Franz Xaver Wurm (1786–1860) als Urheber einer Banknotenfälschung in Marienthal verhaftet.

1826
1826 wird die Hausnummerierung in Gramatneusiedl von 1771 geändert. Diese ist bis
1961
gültig. (
Übersicht.)

1827
Mit Regierungsdekret vom 22. Februar 1827 wird die Kirche Sankt Peter und Paul in Gramatneusiedl zur landesfürstlichen Patronatskirche erklärt; bislang galt das
Wiener Domkapitel als Patron, dessen Wappen sich auch am Hochaltar befand.

1827
Mit Patent vom 24. Februar 1827 wird in Österreich ein Wanderbuch für Handwerksgesellen eingeführt.

1827
Nach der Verhaftung von Franz Xaver Wurm (1786–1860) im März 1826 und seiner Verurteilung zum Tod im März 1827 muss die »k(aiserlich) k(önigliche) priv(ilegierte) Flachs- und Werg-Spinnfabrik zu Marienthal« im
Sommer 1827 ihren Betrieb
einstellen.

1828
Am 8. September 1828 rückt ein italienisches Regiment aus Pozsony / Preßburg (Ungarn; Bratislava, Slowakei) kommend in Gramatneusiedl ein, lagert hier und in der Umgebung. Am
Morgen des nächsten Tags zieht die Einheit wieder ab.

1829
1829 erscheint eine umfassende Beschreibung der
ersten Textilfabrik Marienthal, wobei es sich eigentlich um eine Darstellung der von Franz Xaver Wurm (1786–1860) stammenden technischen Einrichtungen handelt.
(
Text.)

© Reinhard Müller
Stand: September
2011
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