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Soziologie in Österreich |
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Geschichte |
Das Leben Othmar Spanns. Vortrag, gehalten beim 4. Herbsttreffen der Spann-Freunde in Filzmoos am 2. September 1954[1] Herausgegeben und kommentiert von Reinhard Müller © Die Veröffentlichung des Vortrags erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Hanna Riehl, Graz. Fast ein halbes Jahr lang erzählte mir Othmar Spann, und zwar vor allem aus seiner Kindheit und aus seinen frühen Jahren. Er hat dann auch meine Zusammenstellung korrigiert und ich habe also die Sache zusammenbekommen bis in die Brünner Zeit. Als wir so weit waren, hat er aber vollkommen die Lust an der Lebensbeschreibung verloren und hat plötzlich den Standpunkt eingenommen: »Solange ich noch lebe, hats gar keinen Sinn, dass eine Lebensbeschreibung von mir erscheint. Mach das nicht, mach eine ganz kurze Sache.« Und ich habe dann natürlich nachgegeben. Außerdem hat er mir gesagt: »Und von dem Zeitpunkt an hast du mich ja ohnehin schon persönlich gekannt und hast alles mitgemacht.« Tatsächlich habe ich Othmar Spann im Juli 1913 in Brünn kennengelernt, und von da an habe ich eigentlich ganz unter seinem Bann gestanden. Ich habe sein Wesen in seiner Güte und seiner milden Führung immer wieder um mich gespürt. Diese Dinge haben mich also dazu veranlasst, Ihnen ein bisschen zu erzählen, denn ich fühle mit diesen vielen Daten und Tatsachen, die ich weiß, doch irgendwie eine Art Verantwortung in mir. Nun fällt aber dieser ganze Stoff in zwei Teile auseinander: nämlich in diese objektiven Mitteilungen, die eigentlich Teil einer Lebensbeschreibung sein sollten, und ab 1913 in die rein persönlichen Erinnerungen und Erlebnisse, die ich daher nur als solche schildern kann. Ich möchte Sie daher bitten, dass Sie mir erlauben, dass ich das auch irgendwie sachlich trenne. Wenn ich also zunächst von der Herkunft Othmars einiges erzählen darf, worüber ich ziemlich ausführliches Material habe, so fällt an Othmar auf, dass er wirklich ein reiner Wiener ist – was man meiner Überzeugung nach von den wenigsten Österreichern sagen kann, denn die meisten Österreicher kommen aus allen Gegenden des Deutschen Reiches zusammen. Bei ihm kommt eigentlich die ganze Familie aus Niederösterreich und aus Wien. Vielleicht langweilt es Sie nicht, wenn ich da ein bisschen über seine Großeltern erzähle, bis in die zweite Generation zurückgreife. Die Familie Spann ist also eine alte Wiener Kaufmannsfamilie, deren wirtschaftlicher Höhepunkt mit dem Großvater Othmars erreicht war. Dieser Großvater Spann war ein ganz ausgezeichneter Kaufmann und besaß eine große Tapetendruckerei, ein Geschäft für Tapeten, das heute noch besteht – das heißt, heute weiß ich nicht mehr, 1945 hat sich ja alles geändert. Aber bis 1945 hat es bestanden, und zwar am Neuen Markt neben dem Hotel »Krantz«.[2] Das Geschäft hat dann in der Tapetenfabrik »Kaiser« – diejenigen, die in Wien mit dem 40er-Wagen[3] gefahren sind, die werden wissen, dass da oben groß »Tapeten Kaiser« gestanden hat – seine Weiterführung gefunden. Es war also in der großväterlichen Generation einmal der Großvater, der eine Ueberreuter geheiratet hat. Die Familie Ueberreuter ist auch eine alte Wiener Familie und spielt heute noch in Wien eine große Rolle. Erstens haben sie ein sehr schönes Papiergeschäft am Stephansplatz, gleich neben dem Deutschen Haus,[4] und zweitens haben sie den größten Kinderbücherverlag Österreichs.[5] Das ist also eine sehr alte, gute Familie, und der Großvater Spann hat eine Ueberreuter zur Gattin gehabt. Sein Bruder war ein sehr berühmter Feinmechaniker und Uhrmacher, und ein zweiter Bruder war Vorleser des Königs von Bayern. Und eine Schwester war mit dem berühmten Professor Suess[6] verheiratet, der die erste Wiener Hochquellenwasserleitung erbaut hat und auch beim Suezkanal eine Rolle spielte. Dieser Großvater Spann war ein ganz außergewöhnlicher Kopf. Er hat seine Tapetendruckerei sehr gut geführt und war als Tapetenmann so berühmt, dass er von einem russischen Unternehmer die Aufforderung erhielt, ihm in Russland eine Fabrik einzurichten. Es wurde ein Vertrag abgeschlossen und ausgemacht, dass er drei Jahre in Russland sein sollte. Dann würde er 80.000 Goldrubel bekommen und könnte danach wieder zurück. Der gute Großvater Spann machte sich mit Kind und Kegel auf, ist nach Lodz[7] gefahren und hat dort dem Mann seine Fabrik einzurichten begonnen. Nach drei Monaten ist der Betreffende aber gestorben, und die ganze Sache wurde an und für sich hinfällig. Aber der Großvater Spann hat seine 80.000 Rubel bekommen und ist mit Kind und Kegel wieder nach Wien zurück, nachdem ihm in Lodz ein Sohn geboren ward. In Wien hat er sich um diese 80.000 Goldrubel zehn Häuser gekauft und war jetzt ein wohlfundierter Mann, mit seiner Tapetenfabrik usw. Das war also die große finanzielle Blüte des Hauses Spann. Im Jahre 1870[8] war der berühmte Börsenkrach in Österreich, und dabei hat dieser Großvater Spann allerdings sein Geld zum größten Teil wieder verloren. Er hat nur noch zwei Häuser behalten, von denen eines dann auf den Vater Spann übergegangen ist – davon werde ich später erzählen. Dieser Großvater Othmars war ebenso wie sein Bruder, der ja Vorleser beim bayrischen König war, ein berühmter Geschichtenerzähler. Und immer wieder hat er die Kinder und die Erwachsenen um sich versammelt und ihnen erzählt. Auch Othmar hat sich noch an solche Geschichtenerzählungen seines Großvaters erinnert, denn dieser Großvater ist sehr alt geworden. Er hat noch seinen 75. Hochzeitstag erlebt und ist dann mit 90 oder 92 Jahren gestorben. Zum 75. Hochzeitstag – ein kleines Detail – hat ihn der Lueger[9] einladen wollen, aber der Großvater Spann war sehr liberal und hat dem Lueger sagen lassen, er komme nicht. Dieser Großvater Spann hatte mit seiner Gattin Ueberreuter mehrere Kinder gehabt: Der Älteste hat Hans geheißen, der Zweite war Josef – der Vater Othmars –, und eine Tochter, die dann einen Direktor bei der Polizei, Eichelfelder,[10] geheiratet hat und eine sehr vornehme und feine Dame der Wiener Gesellschaft gewesen ist. Der Sohn Josef wollte durchaus studieren, aber der Großvater Spann hat gesagt: »Auf der Welt gilt nur die Arbeit, alles andere ist nichts wert.« Die Studierten hat er immer nur als Hungerleider bezeichnet. Da hat er es dem Herrn Sohn nicht erlaubt, unter die Hungerleider zu gehen, sondern er sollte ordentlich arbeiten, dann würde er schon etwas werden. Er hat ihm also in Altmannsdorf[11] das eine seiner übrig gebliebenen Häuser gegeben, und dort hat dieser Sohn eine kleine Tapetenfabrik unterhalten, mit der er an das Geschäft seines Vaters anknüpfte: ein Geschäft für marmorierte Papiere.[12] Othmar hat noch viele marmorierte Papiere aus dem Geschäft seines Vaters gehabt. Ich habe auch meinen Schubert[13] in solche Papiere von Othmars Vater eingebunden. Dieses Geschäft hat er nun auf den Erfindungen seines Vaters und auf eigenen Erfindungen aufgebaut, denn auch der Vater Othmars war ein ausgezeichneter Erfinder. Eine seiner Haupterfindungen war eine Marmorierungsmaschine, die sich als Rolle bewegt und die er dann auch zum Reinigen mit Bürsten umgebaut hat. Aus dieser Maschine vom Vater Othmars ist dann die berühmte Straßenreinigungswalze entstanden, die ja jetzt noch in den Straßen Wiens fährt, mit diesen sich drehenden Bürsten. Trotz dieses erfinderischen Kopfes ist aber der Vater Spann viel zu sehr ein sprühender Kopf gewesen, der immer wieder neue Ideen hatte, immer neue Unternehmungen. Othmar hat mir oft erzählt, was sie alles gemacht haben. Vater hätte verderbliche Sachen eingekauft, die eingelagert wurden. Dann war der Keller feucht, und sie sind wieder woanders hingelagert worden. Kurz, er erinnerte sich, dass er da als Bub ungeheuerlich viel hin-und-her-arbeiten musste und dass diese Sachen dann doch in irgendeinem Keller zugrunde gegangen sind. Und das Geschäft ist immer schlechter gegangen, der Vater ist also nicht in die Höhe, sondern leider immer mehr heruntergekommen, trotz vieler Arbeit. Das Haus stand in Altmannsdorf. Es ist leider gar nicht mehr ganz genau feststellbar, wo es stand, obwohl jetzt grade starke Bemühungen dazu in Gang waren.[14] Es stand fast allein, so hat wenigstens Othmar mir erzählt, hatte einen großen Garten und hinter dem Garten ein freies Feld. Bevor ich aber auf diese Dinge eingehe, muss ich über die Mutter Othmars erzählen. Die Mutter Othmars[15] war aus bäuerlichem Geblüt. Sie stammte aus Zwentendorf bei Tulln – wie Othmar dann stolz sagte: »aus dem alten Nibelungengau«. Ihre Mutter, also die Großmutter Othmars, war eine außerordentlich schöne Frau gewesen und hat einen Feldwebel Pascher geheiratet. Deren Tochter war ebenso schön wie sie, wenn nicht noch schöner. Diese wurde dann durch die Gunst des Grundherrn – in diesem Zwentendorf lag nämlich das grundherrliche Schloss der Grafen Althann[16] –, als sie halbwegs herangewachsen war, an ein adeliges Institut in Wien, an das Institut der Ursulinen in der Annagasse 7, übergeben und ist dort bis zu ihrem achtzehnten Jahr erzogen worden. Dort lernte sie der Vater Spann kennen, und es war eine große Liebe und Heirat. Es kamen dann vier Kinder zur Welt:[17] Hermine, die älteste Tochter, die 1876 geboren wurde und mit der Spann eine sehr nahe Beziehung hatte. Ich war auch öfters in ihrem Hause. Aber ihr Leben ist eigentlich recht unglücklich verlaufen. Ihr Gatte, ein Mathematiker, war ein etwas sonderbarer Mensch, der sich eigentlich immer mehr in seine Ideen steigerte und dieser Frau das Leben nicht leicht machte. Dann war Othmar, am 1. Oktober 1878 geboren, schließlich seine jüngere Schwester Adele. Und endlich ein Sohn Richard, 1889, der – wie Othmar immer wieder sagte – ungeheuer begabt gewesen war und mit drei Jahren 1892 gestorben ist. Dieses Haus mit den Kindern war also eine paradiesische Erinnerung Othmars, und er konnte eigentlich nicht müde werden, davon zu erzählen, wie er da hinten im Garten gelaufen ist und immer weiter. Er erzählte, seine liebste Beschäftigung war das Drachensteigen. »Wenn der Wind recht ging, dann stieg der Drachen hoch, und wenn kein Wind ging«, sagte er, »dann musste man doppelt so schnell laufen, und das war mir fast noch lieber.« So hat er da sein Leben in äußerster Bewegung und Freiheit verbracht, bis dann das große Unglück über die Familie kam, nämlich, dass seine Mutter starb, 1890. Othmar war damals zwölf Jahre alt: Ein Schlag, den er eigentlich im Leben nie überwunden hat. Von dieser Mutter hatte er auch unauslöschliche Eindrücke. Immer, wenn er weich wurde, erzählte er dann von seiner Mutter: dass sie einerseits die unbeschreibliche Schönheit, also das absolute Schönheitsideal für ihn gewesen wäre, und zweitens, dass sie so unbeschreiblich gütig gewesen sei. Immer wieder wies er darauf hin: »Das war eben die reine Güte, deren Erlebnis ich nie in meinem Leben vergessen können werde.« Nun ging mit dieser Mutter aber nicht nur die Mutter aus dem Haus, sondern scheinbar wirklich auch der gute Geist, denn die Kinder konnten vom Vater nicht gehalten werden. Die Kinder kamen nun zu der Großmutter, zu dieser Bauerntochter aus Zwentendorf, die den Feldwebel Pascher geheiratet hatte, der für seine außerordentliche Tapferkeit, die er im Kriege gezeigt hatte, eine – das war damals so in der alten österreichischen Armee – Trafik nahe dem Meidlinger Bahnhof bekommen hat, die ihm steuer- und abzugsfrei überlassen wurde.[18] Da haben nun die Kinder hauptsächlich bei der Großmutter gewohnt, die ebenfalls außerordentlich gütig war und den Kindern alles gegeben hat, die aber, wie er erzählte, überaus peinlich genau war. Da musste alles sauber sein und adrett. Die Kinder mussten wie die Püppchen über die Gasse gehen, sich an der Hand halten, und er konnte also nicht mehr laufen, wie er es früher getan hatte, sondern musste Schritt vor Schritt setzen. Sie hat halt sehr darauf geachtet, dass die Kinder als die schönsten Kinder von Meidling gegolten haben, was ohne Weiteres der Fall war. Es war also eine gewisse peinliche Stimmung in diesem großelterlichen Hause. Der Vater trat immer mehr in den Hintergrund und wurde immer einsamer. Er hat sich auch später eigentlich mit Othmar nicht recht vertragen – das heißt, das ist vielleicht ein zu hartes Wort, das mir da in den Mund gekommen ist. Es hat keine wirkliche Freundschaft gegeben, vor allem deshalb, glaube ich, weil der Vater sehr stark sozialdemokratisch war. Othmar hat sich eben doch von dieser Haltung ganz losgelöst. Er hat gewissermaßen in sich den Kampf gegen den Sozialismus mitgemacht, in seiner eigenen Familie mitmachen müssen, in einem schweren Kampf, bei dem auch sein Vater eine Rolle gespielt hat. Der Vater hat sich später nach Zwentendorf zurückgezogen und ist dort ziemlich vereinsamt gestorben. Ich kann mich noch sehr gut an die Todesnachricht – im Alter von 72 Jahren – erinnern. Nun war also Othmar bei den Großeltern. Da hatte er seine Schule mitgemacht, zuerst die Volksschule und die sogenannte Bürgerschule. Als er 14 Jahre alt war, sah er, dass die Wohlhabenheit des Hauses erschüttert, wenn nicht gar vernichtet war. Da stellte er sich jetzt einfach auf eigene Beine, ist seinen Großeltern so halb und halb durchgegangen, hat eine Stelle angenommen, zunächst eine kleine Stelle – das habe ich nie herausbekommen, was er da gemacht hat. Dann hatte er einen Handelskursus oder so was in der Handelsschule Allina[19] mitgemacht. Danach hat er sich in der Post-Sparcasse eine Stelle verschafft, hat alles Geld zurückgelegt, das er einnahm, und hat dann von diesem Geld sich einen Maturakurs geleistet, der ihm das Einjährig-Freiwilligen-Recht[20] sicherte. Er hat dann dieses Einjährig-Freiwilligen-Jahr gemacht, und zwar zur Hälfte bei einem Tiroler Kaiserjäger-Regiment, das in Wien stationiert war, und als dann diese Tiroler Kaiserjäger von Wien wegkamen, bei einem ungarischen Regiment, Székler haben die geheißen.[21] Da hat er auch Ungarisch lernen müssen, was ihm sein Leben lang viel Freude gemacht hat. Er hat immer wieder darauf hingewiesen: »Ich kann ja Ungarisch.« Und er hat auch hin und wieder, wenn er bei uns in Katzelsdorf[22] war, wo die Ungarn herübergeschaut haben, mit seinen Ungarischkenntnissen geprahlt. Nachdem er sich also mühsam in dieser vollkommen ungewöhnlichen Laufbahn durchgerungen hat, nachdem er nach der Bürgerschule sich mit lauter Stunden und kleinem Beamtengehalt weitergehantelt hat, war er also reif für die Hochschule. Er hat zunächst zwei Semester Philosophie als außerordentlicher Hörer an der Wiener Universität studiert. Dann aber hat er sich doch für die Staatswissenschaften entschlossen, ich weiß nicht aus welchen Gründen.[23] Und nachdem in Wien diese Fakultät damals noch nicht bestand, ist er nach Zürich und dann nach Bern gegangen, um dort die staatswissenschaftlichen Studien aufzunehmen. Schließlich ist er in Tübingen gelandet, wo Professor Friedrich Julius Neumann[24] auf ihn einen starken Eindruck machte. Auch die alte Stadt, das ganze romantische Wesen hat ihn eigentlich zum ersten Mal zu sich selbst geführt. Durch seinen ungeheuren Fleiß und durch seine starken Interessen hat er auch sofort die Aufmerksamkeit seiner Lehrer auf sich gezogen und hat auf diese Weise seine Studien großartig beendet. Im Sommer 1903 hat er die Dissertation über den Begriff der Gesellschaft vollendet und mit dieser Dissertation summa cum laude promoviert.[25] Noch stärker als Neumann hat ihn aber die Persönlichkeit des ehemaligen österreichischen Ministers Adalbert Schäffle[26] angezogen, von dem dieses Buch »Die Quintessenz des Socialismus« stammt, und eine Reihe »Aus meinem Leben«, eine sehr interessante, doppelbändige Biografie. Er war also ein sehr interessanter Mann, der als Schwabe österreichischer Minister war, übrigens der erste sozialistisch gesinnte Mann, der in Österreich Minister geworden ist, der sich dann wieder nach Schwaben zurückzog, dort seine Pension verbrachte und der Othmar sehr, sehr freundschaftlich entgegenkam. Er war damals schon ein alter Herr, und ich habe den Eindruck, dass diese Verbindung mit Schäffle für Othmar ein ganz außergewöhnliches Erlebnis war. Ich habe sogar den Eindruck, dass er seinen ersten Sohn Adalbert nach Adalbert Schäffle genannt hat.[27] Schäffle hat sich sehr für ihn eingesetzt, war der Herausgeber der »Zeitschrift für die gesammte Staatswissenschaft«, die ja noch – ich glaube sogar bis jetzt – eine große Rolle spielt. In dieser Zeitschrift hat er zunächst einmal zwei Aufsätze von Othmar herausgebracht: einen über Dilthey und einen anderen über Stammler.[28] Dann hat er auch die Dissertation Othmars gedruckt.[29] Obwohl die viel zu lang und es gar nicht üblich war, Dinge in Fortsetzungen zu bringen, hat Schäffle die Dissertation in mehreren Fortsetzungen in dieser Zeitschrift gebracht. Das war für Othmar natürlich eine große Sache. Er hat mir immer wieder von seinen Begegnungen mit Schäffle erzählt. Ich habe den Eindruck, dass er beim ersten Mal zu Fuß von Tübingen in den Schwarzwald gegangen ist, wo Schäffle damals zu einem Sommeraufenthalt auf dem Land wohnte, und wo ihn der Schäffle begrüßte. Er erzählte, wie er den Mann sah, was er auf ihn für einen Eindruck machte, kurz, es war das einer der ersten Förderer, die er hatte. Fast sofort nach seiner Doktorarbeit und nach seiner Doktorpromotion hat er dann eine Stelle bekommen – sicher auch wieder durch Schäffle. Noch im Herbst 1903 erhielt er eine Stellung in der von Christian Johann Klumker[30] geleiteten Centrale für private Fürsorge in Frankfurt am Main. Damit begannen die erste große Arbeitsepoche seines Lebens und zugleich das Dasein in Frankfurt am Main, an dem Othmar lebenslang gehangen ist. Frankfurt hat auf ihn einen großen Eindruck gemacht. Er hat mir immer wieder – besonders wie dann die Nachricht kam, dass Frankfurt ganz zerschossen, ganz zerbombt sei – gesagt: »Das ist eigentlich meine Heimat. Ich fühl mich dort heute noch zu Hause.« Jedes Haus sei ihm bekannt. Also, er hat Frankfurt ungeheuer geliebt. Dort war nun eine Institution, die sich zum ersten Mal um die Fürsorge für uneheliche und verwahrloste Kinder angenommen hat und die letzten Endes auf eine Initiative eines Berliner Arztes – ich glaube, Brandt hieß er[31] – zurückging. Diese Institution hat Klumker organisiert, mit dem Othmar dann im weiteren Verlaufe zu einer wirklichen Freundschaft gekommen ist. Aber nicht nur mit dieser Sache war er beschäftigt, sondern er hat im selben Jahr auch noch aufgenommen,[32] um nun endlich das ganze volkswirtschaftliche Material, das da auf ihn während seines Studiums eingestürmt war, zu verarbeiten. Er hat ein Preisausschreiben aufgegriffen, in welchem ein Preis für die beste Darstellung der Geschichte der Volkswirtschaft ausgeschrieben wurde.[33] Und zwar hat Othmar sofort den Gedanken gefasst, die Wirtschaftstheorien einmal zu werten. Er wollte einmal nicht nur die historische Entwicklung zeigen, sondern über die Entwicklung hinaus sagen: Das war richtig, das war falsch – ein Gedanke, den er immer wieder hervorgehoben hat. Das war damals vollkommen unzeitgemäß und vollkommen neu. Es lag aber natürlich in seinem eigenen Wirken begründet, sich mit diesen Theorien einmal auseinanderzusetzen. So schrieb er schon 1903 die Arbeit »Einführung in die Volkswirtschaftslehre«, die dann 1904 abgeschlossen und eingereicht wurde, die aber keinen Preis erhielt und die erst nach mancherlei Wechselfällen leicht überarbeitet im Jahr 1910 unter dem Titel »Die Haupttheorien der Volkswirtschaftslehre« in Druck ging.[34] Das war also 1904. Anhand dieser Arbeit hat sich nun zum ersten Mal seine Einstellung gefestigt. Er sah: Hier liegen die bleibenden Dinge, das sind vergängliche Dinge. Es schiebt sich zugleich der Gedanke des Individualistischen, der Gedanke des ganzheitlich begründeten Denkens in den Mittelpunkt. Er stellte dem summativen ein anderes Denken gegenüber, alles noch ganz unbewusst oder halb bewusst. Er versuchte nun, diese ganzen Wirtschaftssysteme wirklich in ihrer Klarheit zu erfassen, wozu ihm dann später ein Zufall noch weiter half. Er erzählte, dass er – ich glaube in Berlin – auf einem Trödelmarkt in alten Büchern gekramt hat, und da findet er die »Staatslehre« vom Adam Müller.[35] »Wer ist das? Nie gehört. ›Staatslehre‹, sehr interessant.« Er kaufte das Buch, setzte sich zu Hause nieder und wurde gefesselt, las die ganze Nacht durch und fand also hier eine Ergänzung seines Denkens, die ihm sein Leben lang weitergeholfen hat. In Dankbarkeit hatte er auch sein Leben lang dann an Adam Müller festgehalten.[36] Den wichtigsten Raum in der Frankfurter Zeit nehmen allerdings die Arbeiten für die unehelichen Kinder ein, die Aufnahmen, die verschiedenen Untersuchungen und alles das, was ihn bis zum Jahr 1912 beschäftigte.[37] Allerdings hat er da schon ganz andere Dinge dann ins Werk gesetzt.[38] Dass auch rein philosophische Fragen auf ihn einwirkten, hat er immer wieder betont. Er hat es mir in meine »Biografie«[39] eigens hineingeschrieben, dass er sich auch damals mit philosophischen Fragen intensiv beschäftigte, allerdings noch rein aufnehmend. Dagegen hat er damals ein bisschen das Gefühl gehabt, dass vielleicht seine Zukunft auch in der Dichtung liege, hat ein Drama »Genoveva«[40] geschrieben und eine Reihe von Gedichten. Besonders knapp später, als er dann seine Gattin kennenlernte, hat er mit ihr zusammen ein Bändchen – das erste Bändchen – Gedichte herausgegeben, Gedichte zu Motiven aus Richard Wagners »Ring des Nibelungen«.[41] Das war nun 1905. 1905 lernte er Erika Reinsch,[42] die Dichterin, am Tegeler See bei Berlin kennen, die seither mit ihm sein Leben geteilt hat. Sie stammte aus einer alten fränkischen Familie aus der Saalegegend. Ihr Vater war bei der Bahn ein höherer Beamter und wurde dann nach Kempten versetzt. Damals waren sie also schon in Kempten. Sie hatte dann in München gelebt und hat nun mit Othmar ihr Leben geteilt: eine Frau von außerordentlichen Interessen nach allen Seiten hin, sowohl naturwissenschaftliche wie geistige. Wir wissen ja alle, dass sie sich als Mineralogin, als Archäologin, als Botanikerin, als Sprachforscherin usw. außerordentlich aktiv beschäftigt hat. Zwei Söhne sind aus dieser Ehe erwachsen, von denen der ältere, Adalbert,[43] 1907 noch in Frankfurt geboren wurde. Damals war nun Othmar zur zweiten Waffenübung eingerückt, die in Böhmen stattfand. Das war, glaube ich, 1908. Er hatte wieder einmal sein Manuskript der »Haupttheorie« mitgenommen, um es vielleicht einem Verleger zu zeigen, wenn sich die Gelegenheit ergäbe. Als er von der Waffenübung über Brünn[44] heimkehrte, hat er in Brünn einen Mann besucht, der später einen ziemlichen Ruf in der Volkswirtschaftslehre erhalten hat: Gottl von Ottlilienfeld.[45] Dieser Gottl von Ottlilienfeld war damals vielleicht der einzige, der sich für theoretische Fragen in der Volkswirtschaftslehre interessierte, denn alles war ja Historische Schule. Ein historischer Relativismus beherrschte alles. Dem hat Othmar nun das Buch gezeigt, und der war so begeistert, dass er ihm vorschlug, ihn sofort zu habilitieren. Othmar ging auf diesen Vorschlag ein und wurde 1908,[46] glaube ich, in Brünn habilitiert. Nun begann also wieder eine ganz neue Lebensform in dieser Stadt, in der einerseits die alte deutsche Überlieferung herrschte, in der aber andererseits doch der Nationalitätenkampf eine ungeheure Rolle spielte.[47] Jetzt stand das Hochschulmäßige dem Beamtenhaften gegenüber, das ihn bis dahin festhielt. Nun traten also ganz neue Einrichtungen und ganz neue Lebensformen an ihn heran, die ihn allerdings zunächst noch gar nicht sehr stark betrafen. Schon knapp nach seiner Habilitierung erhielt Othmar einen Ruf nach Wien zur Vorbereitung der Volkszählung im Jahre 1910.[48] 1910 war eine große Volkszählung ausgeschrieben, und die Herren in Wien erkannten sein lebendiges Wesen und schätzten ihn. Wahrscheinlich auch durch die Vermittlung des Schäffle, vor allem aber Philippovich hat dafür gesorgt, dass er nach Wien berufen wurde.[49] Dort führte Othmar in der Statistischen Kommission[50] die Vorbereitungsarbeiten für die Volkszählung durch. Er hat, wie er mir sagte, damals tatsächlich eine ganze Anzahl neuer Gesichtspunkte in diese Volkszählung eingeführt und auch neue Methoden hervorgebracht.[51] Dadurch hat er die Zufriedenheit seiner Vorgesetzten in einem so hohen Maße erweckt, dass man ihm ein sehr rasches Engagement und endlich eine führende Stellung in dieser Statistischen Kommission sozusagen versprochen hat, wenn er bliebe. Nun traf es sich aber, dass zur selben Zeit Gottl-Ottlilienfeld einen Ruf nach Berlin erhielt und aus Brünn wegging und Othmar als seinen Nachfolger vorschlug. Jetzt hatte er also die Wahl: entweder den langsamen Aufstieg zum Präsidenten der Statistischen Zentralkommission in Wien oder Professor in Brünn zu werden. Er entschied sich für Brünn und hat nun im Jahre 1910 seine Tätigkeit, zunächst als außerordentlicher Professor und dann als ordentlicher Professor, in Brünn aufgenommen.[52] Er ist nämlich noch in Brünn Ordinarius geworden. Er erzählte mir öfters, dass er bei beiden Gelegenheiten, sowohl bei dem Extraordinariat wie beim Ordinariat, zum Kaiser Franz Joseph gehen musste. Jeder österreichische Beamte, der eine gewisse Diensthöhe, eine gewisse Dienststufe, erreicht hatte, musste sich beim Kaiser persönlich bedanken: eine ungeheure Belastung für den Kaiser. Der Kaiser war aber ungeheuer freundlich, und Othmar erzählte mir, dass er ihm auf die Schulter klopfte und sagte, »Jetzt machen Sie’s halt gut«, und er hat ihm gut zugeredet. Immerhin hatte er einen starken Eindruck vom Kaiser Franz Joseph. Die Tätigkeit in Brünn war außerordentlich befruchtend für Othmar, denn es war doch eine recht aufnahmebereite Jugend da. Der Umgang mit den Studenten, die er sehr bald alle für sich gewonnen hatte, war für ihn eine große Freude. Es blieb ihm daneben noch so viel Zeit, dass er viel Bildung aufsaugen konnte. Die ungeheure Belesenheit, die er hatte: Er hat sich sowohl in der Literatur, vor allem aber in der Philosophie nach allen Seiten hin umgesehen. Als ich dann im Jahre 1913 – das war also drei Jahre später – nach Brünn kam, wohnte er in einer recht schönen Villa, draußen, ich glaube in der Rothenberge, hat das geheißen, oder Rote Berge – nun, wenn kein Brünner da ist, ist das ja auch nicht interessant.[53] Er hatte einen großen Garten, und in dem Garten haben die beiden Buben, die die »Pitzen« genannt wurden, den ganzen Tag gespielt, natürlich vor allem Soldaten, und gerauft und herumgeschlagen haben sie sich. Er hat also beglückt in einer schon sehr großen Bibliothek da seinen Wissensschatz erweitert. Es ging ihnen nicht sehr gut. Ich habe immer wieder gehört, dass Othmar besonders durch Bürgschaften sehr belastet war und dass das verhältnismäßig gute Einkommen eben doch zum großen Teil weitergegeben werden musste. Damals war die Frau Professor Spann wirklich außerordentlich zu bewundern, wie sie den ganzen Haushalt führte und immer singend durch die Gänge, durch die Zimmer ging, mit dem Besen oder einer Nähnadel oder irgendetwas anderem, und dabei noch einen Band Gedichte nach dem andern schrieb. Einer der Bände, den ich für den allerbesten von ihr halte, ist »Paracelsus und sein Jünger«. Außerdem schrieb sie eine Reihe anderer Bände.[54] Sie war ein außerordentlich starkes, geistiges Wesen. Die Familie Spann war in Brünn sozusagen der Mittelpunkt, teils äußerst beliebt und bewundert, teils ungemein verhasst, weil natürlich das Leben um sie durchaus unbürgerlich vor sich ging. Gleich beim ersten Mal, als ich hinkam, war ein Ausflug beschlossen, in diese Höhlen in der Nähe von Brünn. Wir gingen also in die Mazocha.[55] Da wurde jeder mit einem Blumenkranz bekränzt, es wurde gesungen und getanzt. Es war eine unerhörte, gesteigerte Lebensfreude, die sich da ausdrückte. In Brünn sind eigentlich auch noch diese ersten Hauptwerke Othmars entstanden. Es ist immerhin interessant, dass im Jahr 1914, schon vor dem Ausbruch des Weltkrieges, die »Gesellschaftslehre« in erster Auflage entstanden ist[56] und dass auch damals schon das »Fundament der Volkswirtschaftslehre« fertig war, das dann allerdings erst im Krieg in erster Auflage erschienen ist.[57] Dann kam 1914 der Weltkrieg. Othmar rückte als Reserveleutnant ein, und zwar nach Galizien. Nach kurzer Zeit wurde er verwundet. Diese Verwundung hat er ungeheuer bedauert, denn er war leidenschaftlich Soldat, und er wollte durchaus wieder ins Feld hinaus. Man hat ihn aber nicht lassen, sondern hat ihn in dem eben gegründeten wissenschaftlichen Komitee für Kriegswirtschaft eingesetzt, das damals am k. u. k. Kriegs-Ministerium in Wien gegründet wurde, und zwar als Oberleutnant.[58] Sein Kollege in diesem Komitee war Hans Mayer,[59] für den er sich später so sehr eingesetzt hat. Ich weiß am besten Bescheid, wie dann der Othmar jahrelang gekämpft hat, um den Mayer in die Universität Wien zu bekommen. Ich selber, der ich mit dem alten Bundespräsidenten Hainisch[60] wirklich – man kann sagen – befreundet war, musste ununterbrochen zum Hainisch rennen und musste ihm sagen: »Der Spann lässt Sie innigst bitten, Sie möchten doch endlich den Mayer bestätigen.« Der Mayer war nämlich kein Gegner der Grenznutzenschule, und Hainisch hat gesagt: »Diesen Trottel werde ich nicht hinaufsetzen. Der Spann weiß gar nicht, was er für eine Dummheit begeht, wenn er den Kerl da hinaufsetzt. Diese Grenznutzenschule ist doch ein Blödsinn.« Ich musste mich von Hainisch immer wieder abkanzeln lassen. Schließlich ist es dann doch gegangen, weil ja der Hainisch, wie er selbst sagte, dieses fünfte Rad am Wagen war. Da hat sich also Othmar mit dem Mayer wirklich seinen Mephisto in sein Amt hineingesetzt.[61] Aber es ist eine Erfahrung, die man immer im Leben macht, dass niemand so unangenehm für einen werden kann wie die Leute, denen man Wohltaten erwiesen hat. Nun, das war also dieses Kriegskomitee. Die Spanns wohnten damals im Prater[62] in einer ganz netten Wohnung, sind aber nach Ende des Krieges wieder nach Brünn zurückgegangen. Sehr bald darauf erhielt Othmar den Ruf an die Universität nach Wien, und zwar nach dem Tod Philippovichs, der ihm immer sehr wohlgewollt war. Der hat bei seinem Abgang von der Universität Wien Othmar als seinen Nachfolger nominiert. Am 1. Mai 1919 trat Spann sein Amt an der Wiener Universität an.[63] Es folgte eine lange Wohnungssuche, dann wurde schließlich die Wohnung in der Blaasstraße Numero 3 bezogen.[64] Es fing wieder ein ganz neues Leben an. Sie machen sich keine Vorstellung, was damals in Wien für ein Chaos war. 1919: der verlorene Krieg, die zerstörte Monarchie, das kleine Österreich, das damals Deutschösterreich geheißen hat, und auf der anderen Seite der heraufkommende Bolschewismus, der nun glaubte, das Feld gewonnen zu haben. Ich war damals in diese Ereignisse ganz eingespannt und ganz in der Nähe Othmars. Eigentlich habe ich damals am meisten von seinem Leben mitgemacht. Ich erinnere mich noch an die unerhörten Kämpfe und die unglaublichen Spannungen, die in den Vorlesungen herrschten. Die Vorlesung war zwar bummvoll, aber es waren doch – man kann sagen – achtzig Prozent Bolschewisten, bolschewistisch eingestellte Leute, die aus dem Krieg herausgekommen sind. Da steht Othmar am Katheder und schimpft auf Karl Marx los und auf all die Leute. Dabei hat er immer zu den Studenten gesagt: »Ja, meine Herren, Sie können ruhig ihre Meinung sagen. Ich will Sie durchaus nicht überreden, sondern ich will nur in Ihnen die Gedanken wachrufen.« Und die Studenten haben mit einer Wut losgehauen, nicht wahr – das waren unglaubliche Zeiten! Aber das hat Othmar nicht genügt, sondern er hat sich gesagt: »Da muss man noch ganz andere Mittel ergreifen.« Nun hat er einmal den großen Musikvereinssaal[65] gemietet, den er übrigens proppenvoll bekommen hat. In der Zeit, wo die Bolschewiken auf der Straße Aufzüge veranstaltet haben, hat er in dem Saal da – es war eine sehr erregte Stimmung – eine Rede »Widerlegung des Marxismus« gehalten. Damals entwickelte er also diese Idee gegen Marx. Sie machen sich keine Vorstellung, was für ein persönlicher Mut dazugehört hat, Stunde um Stunde, Minute für Minute diese Position durchzuhalten. Aber dasselbe Problem hatte er natürlich auch auf der Universität, denn auf der Universität war Max Grünfeld.[66] Grünfeld, der selbst ein ausgesprochener Marxist war, stellte ihm ununterbrochen Beinchen um Beinchen. Natürlich hat Othmar auf der anderen Seite auch ihm wieder Beinchen um Beinchen gestellt. Als es schließlich eine Gelegenheit gab, hat er Grünfeld einfach gefordert. Dem Grünfeld ist also das Herz so je in die Hose gefahren, dass er in kürzester Zeit sich nach Amerika hat versetzen lassen.[67] Othmar war also diese Laus im Pelz auch noch los. So hatte er Kampf um Kampf, und diese Kämpfe haben ihm die größte Freude gemacht. Das sind so einige persönliche Erinnerungen. Ich darf vielleicht noch das eine oder andere anknüpfen. Othmar war doch als verhältnismäßig junger Professor zu der Lehrkanzel gekommen und mit seiner ungeheuren Lebendigkeit – er hat sich dieses Tempo des Drachenfliegenlassens bis in sein Alter bewahrt – ist er über die große Prachttreppe der Universität – immer drei, vier Stufen nehmend – hinaufgeflogen. Plötzlich hält ihn ein anderer Herr, der da die Stiege hinaufschnauft, an: »Na, na, junger Mann,« sagt er, »Sie werden’s schon auch einmal billiger geben.« Da schaut er ihn an, und es war ein Kollege Othmars, der kaum zwei Jahre jünger war als er. [Zuhörer: Wer war denn das?] Das weiß ich nimmer mehr. Also solche Sachen haben ihm natürlich sehr viel Spaß gemacht. Nun bin ich aber schon in ganz persönlichen Erinnerungen drinnen und möchte zunächst das Übrige nur noch skizzieren, bevor ich zu den Bildern übergehe. Sie wissen ja, dass dann die Entwicklungen in Wien allmählich zu einer Beruhigung geführt haben. Es konnte sich ein geregelter Lehrbetrieb an der Universität immer mehr durchsetzen. Othmar hat eine ungeheure Anhängerschaft gewonnen und war bald der bekannteste Professor an der Universität. Dann sind die bewegten Jahre mit dem Heimatschutz gekommen, in denen sich Othmar immer mehr auch in die politischen Interessen hinein verzankte. Es waren dann die Schriften über den Heimatschutz erschienen, für den er die »Irrwege des Marxismus« geschrieben hat, und die »Hauptpunkte einer universalistischen Staatslehre«.[68] Das waren wieder so bewegte Jahre, dass man einen eigenen Abend damit füllen könnte, um davon zu erzählen. Dann kam die Zeit der Zusammenkünfte in Gaming,[69] gewissermaßen das, was wir hier jetzt nacherleben. Dieses Gaming war ja auch ein ganz einzigartiges und eigenartiges Erlebnis, das niemand vergessen wird, der dort mitgetan hat. Othmar sprach das letzte Mal in Gaming im Jahre 1936, wie mir eben früher Dr. Kauffmann[70] freundlich mitgeteilt hat. Dann kamen die bösen Jahre, die Zeiten der ungeheuren Aufregung um den großdeutschen Gedanken, für den, wie Sie ja alle wissen – das ist kein Geheimnis, nicht wahr – Othmar ungeheuer begeistert war. Ganz abgesehen von allen andern Dingen, hoffte Othmar doch bis zu einem gewissen Grade, mit seinen Ideen durchzudringen – was ja beim Heimatschutz keineswegs der Fall war, was er übrigens wusste. Immer wieder – ich habe da so einige Aussprüche aufgeschrieben – sagte Othmar: »Mit den Leuten kann man ja nix machen. Schau da den Pfrimer[71] an, schau da den Steidle[72] an. Mit den Leuten kannst ja nix machen. Und trotzdem muss man mittun«, sagt er, »denn sonst kommt überhaupt in der Welt nix zustande, wenn man sich immer an allem stößt.« Kurz, auch jetzt war er von Anfang an in einem gewissen Sinn misstrauisch. Obwohl eine Begegnung mit Adolf Hitler, die die Frau Bruckmann[73] in München durchgeführt hat, ihm eine gewisse Hoffnung gegeben hat, dass vielleicht doch ein Verständnis für ihn da wäre, ist dann die Sache jedoch sehr rasch schiefgegangen. Aber es war da im Grunde doch noch etwas anderes, was ich eigentlich für das Entscheidende halte. Jeder Deutsche in Österreich hängt in einer Weise an dem großdeutschen Gedanken, wovon sich die alten Reichsdeutschen keinen Begriff machen. Und dieses Denken war natürlich auch in Othmar, der ja so viele Jahre seiner Entwicklung Deutschland verdankte: Tübingen, Frankfurt, an dem er immer so gehangen hat, und dann noch die Jahre in Brünn, die ihn in seiner ganzen Haltung befestigten. Er hat immer sehr viel vom preußischen Organisationsgeist gehalten. Er hat immer wieder betont, Deutschland sei der beste Beamtenstaat, der je da war und der auch je da sein wird. Diese Menschen haben eben eine Organisationskunst, die im staatlichen Wesen schier unübertrefflich ist – vor allem die Bewunderung für die absolute Reinheit und Intaktheit und das Fehlen, das Ausschalten jeder Korruption. Wir erleben es ja jetzt tatsächlich: Ich bin eigentlich der Überzeugung, dass es jetzt keinen Staat mehr gibt, in dem es nicht Korruption gibt, nachdem Deutschland doch ziemlich ausgeschaltet ist. Man sieht jetzt deutlich, dass Deutschland eigentlich der Hort der absoluten Anständigkeit und Reinlichkeit in staatlichen Verwaltungsdingen gewesen ist. Also diese Dinge haben Othmar ungeheuer ergriffen. Dann kam aber am nächsten Abend schon die Verhaftung[74] und schließlich diese ganze Tragik, aus der Othmar nur schwer oder eigentlich überhaupt nie herausgefunden hat. Dann die Verbannung: Man kann ja von einer Art Verbannung reden, denn Dadieu[75] hat mir öfters gesagt: »Es ist ein Glück, dass er da draußen in Schlaining sitzt, denn wenn er nicht in Schlaining wär, so hätt man ihn todsicher nach Preußen in irgendein kleines Nest transportiert, wenn nicht umgebracht.« So konnten ihn seine Freunde und Bewunderer, die er auch unter den führenden Nationalsozialisten hatte, doch schützen und halten. Unglaublich war es, wie er die Dinge immer wieder optimistisch gesehen hat, obwohl er ja genau sah, wo die Sache hinführt. Er kam dann aus dem Gefängnis mit einem Augenleiden heraus. Er hat in dem feuchten Kerker den grünen Star bekommen, also eine sehr schwierige Form des Stars, die dann operiert wurde, zunächst auf dem einen Auge, danach auch auf dem andern. Er hat darunter sehr gelitten. Er hat mir oft gesagt: »Du machst dir keine Vorstellung: Im Kopf diese Augenoperation ist ärger als jede andere Operation. Es geht irgendwie aufs Innerste des Menschen.« Außerdem waren ihm natürlich auch die Brillen grässlich – ein Mensch, der ein solches Freiheitsbedürfnis hatte. Und dann war ja auch das Zusammensein und so. Kurz: Alles war entsetzlich für ihn. Er hat auch immer ganz unvorsichtig geschimpft, wenn wir korrespondierten, sagen wir, über Erscheinungsmöglichkeiten eines Buches, zum Beispiel seiner »Religionsphilosophie«,[76] die ja eigentlich während des Nationalsozialismus fertig geworden ist. Das möchte ich hier übrigens betonen, denn immer wieder wurde ihm von katholischer Seite vorgeworfen, er hätte diese »Religionsphilosophie« geschrieben, um dem Katholizismus doch bis zu einem gewissen Grad zu schmeicheln, weil er dann am Schluss dieses Kapitel über das Christentum geschrieben hat. In Wahrheit hat er diese ganze »Religionsphilosophie« und auch das Kapitel über das Christentum während des Nationalsozialismus geschrieben. Er hat mir immer wieder gesagt: »Du, aber wenn das so weitergeht, die Jugend wird das ja gar nicht mehr verstehen. Es hat ja gar keinen Sinn. Aber trotzdem muss ich’s ihnen schreiben.« Es war also wieder eine kühne Tat, dass er dieses Kapitel geschrieben hat. Ich habe ihm damals über die Aussichten geschrieben, dass er das Papier bekommt – damals musste man Papier bewilligt bekommen. Dann schrieb er mir: »Siehe Macbeth 3. Akt« – also wo die Szene zu Ende geht: »Das Papier wird in kürzester Zeit da sein.« Oder: »Der Zauber wird nur noch einige Wochen dauern.« Das hat er auf offenen Karten geschrieben. Und da sagte ich natürlich, »Bitte schreib nicht solche offenen Karten, das wird mir sehr peinlich sein«, weil ich ja schließlich in Graz auch beobachtet worden bin. Sagt er: »Offene Karten lesen die Trottel nicht. Sie lesen nur Briefe.« Aber er hat in Briefen genauso solche Sachen geschrieben.[77] Dann möchte ich noch hervorheben: Viele Jahre hindurch, vor Schlaining, also etwa vom Jahr 1922 oder 1923 an, war sein Sommersitz In der Huben.[78] Später, als die Huben fraglich wurde oder ihm nicht mehr ganz entsprach, hat er dann Schlaining gekauft und ist schließlich ganz in Schlaining geblieben.[79] Da war er eigentlich gefangen. Er konnte nicht recht heraus, er wurde beobachtet. Und wer zu ihm kam, wurde auch beobachtet. Bis sich dann das alles auf eine Weise löste, die auch in keiner Weise für ihn erfreulich oder befriedigend war. Und dann kamen die letzten Jahre: der ungeheure Kampf, der dann durch den Verlust seines Sohnes[80] überschattet wurde, was alles noch verhärtet hat. So hat er nun eigentlich einen Kampf bis zur letzten Stunde geführt. Trotzdem ist mir das eine der erschütterndsten Erinnerungen, wie er im letzten Jahr seines Lebens bei uns in Graz einen Vortrag gehalten hat, und wie dann bei der Diskussion eine Frage aufgestanden ist über irgendein Verhalten zum Leben. Da sagte er: »Man darf nicht so hart urteilen. Wenn es Menschen schlecht geht, so kommen sie zu allem möglichen Verhalten. Mir geht es gut«, sagte er, »ich kann mich nicht beklagen. Aber ich habe doch gelernt, dass man mutig sein muss.« Dieses »Mir geht es gut« war so rührend in einem Augenblick, wo ihm eigentlich doch so viel schiefgegangen war, dass ich tatsächlich nur eine Stelle in seinem Werk weiß, die das wirklich erklären kann. Das ist die erschütternde Stelle in der »Gesellschaftsphilosophie«, wo er über den »Führer« spricht und schreibt, wie alles über ihn herfällt und wie er verfolgt und verleumdet und beschimpft wird. »Aber«, schreibt er, »er ist doch zu beneiden, denn es ist in ihm immer etwas, ein Glück, von dem sich die anderen Menschen gar keine Vorstellung machen können.« Und von dem Glück war er eben doch wunderbar erfüllt. Fortsetzung: Lichtbilderteil des Vortrags Anmerkungen von Reinhard Müller [1] Die Tonbandaufnahme des Spann-Anhängers Ing. Erich Rudroff (Salzburg) wurde von Irmgard Holzschuster (Graz) transkribiert und von Reinhard Müller bearbeitet. Da Hans Riehl den Vortrag, aufbauend auf kurzen, nicht erhalten gebliebenen handschriftlichen Notizen, frei hielt, wurden zur besseren Lesbarkeit des Textes von Reinhard Müller vereinzelt leichte Bearbeitungen vorgenommen. Quelle: Archiv für die Geschichte der Soziologie in Österreich, Tondokumente, Signatur T–18. © Die Veröffentlichung des Vortrags erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Hanna Riehl (†), Graz. [2] Das Tapetengeschäft befand sich Wien 1., Neuer Markt 6, direkt neben dem Hotel Krantz (eröffnet 1898), Wien 1., Neuer Markt 5, heute Hotel Ambassador. In dem später von Max Schmidt übernommenen, bis in die 1970er-Jahre bestehenden Geschäft für Tapeten-, Wand- und Möbelstoffe (unter anderem »Wiener Künstlertapeten« der Wiener Werkstätten) befindet sich heute ein Textilwarengeschäft. Das von Riehl genannte Unternehmen, Dr. Wilhelm Kaiser’s elektromech. Tapetendruckerei und Tapeten-Niederlage, befand sich bis 1930 in Wien 9., Kolingasse 17, wo sich zuvor die Erste öffentliche höhere Handels-Lehranstalt von Carl Porges (Wien 1836 – Wien 1906) befand. [3] Linie 40 der Wiener Straßenbahnen. [4] Deutschordenshaus, Wien 1., Stephansplatz 4. In diesem Haus befand sich auch die Verlagshandlung der Carl Ueberreuter’schen Buchdruckerei und Schriftgießerei M. Salzer. [5] Der Verlag Carl Ueberreuter geht auf die älteste bestehende Wiener Druckerei zurück, die 1548 gegründet wurde. 1805 bis 1866 war sie zusammen mit dem Verlag im Besitz der Familie Ueberreuter. 1866 kam sie unter die Leitung der Familie Salzer. 1946 als Carl Ueberreuter Verlag wiederbegründet, galt das Unternehmen als der führende österreichische Kinder- und Jugendbuchverlag. 2012 wurde der Hauptsitz des Unternehmens nach Berlin verlegt. [6] Hier liegt ein Irrtum vor: Der Geologe und Politiker Eduard Suess (London 1831 – Wien 1914) heiratete 1855 Hermine Strauß (Wien 1831 – Wien 1914). [7] Heute Łódź, Polen. [8] Der große Börsenkrach an der Wiener Börse fand am 9. Mai 1873 statt. [9] Karl Lueger (Wien 1844 – Wien 1910), Gründer der Christlichsozialen Partei; 1875/76 und 1878–1910 im Wiener Gemeinderat, ab 1885 im Reichsrat und ab 1890 Landtagsabgeordneter; 1897–1910 Bürgermeister von Wien. [10] Gemeint ist wohl Eduard Ehrenberger (Wien 1830 – Wien 1913), Ober-Polizeirat und wirklicher Regierungsrat in der Wiener Polizei-Direktion. Der älteste Sohn, Johann »Hans« Spann war ebenfalls in der Papierbranche tätig, zunächst als Papierhändler in Wien 5., Gartengasse 11, dann als Marmorierer in Wien 12., Meidlinger Hauptstraße 1. [11] Altmannsdorf, damals Vorortgemeinde von Wien, seit 1890 zu Wien 12. (Meidling) gehörig. [12] Josef Spann (Gaudenzdorf [heute zu Wien] 1845 – Zwentendorf an der Donau 1917) betrieb zunächst ein Unternehmen als Papierglänzer und Papierfärber in Wien 12., Rudolfsgasse 44 (heute Aßmayergasse), dann eine kleine Fabrik zur Erzeugung von marmoriertem Papier und Buntpapier in Wien 7., Lindengasse 20, wohnte jedoch in Wien 7., Siebensterngasse 46. [13] Gemeint ist einer der unzähligen Notendrucke, in diesem Fall vom Komponisten Franz Schubert (Himmelpfortgrund [heute zu Wien] 1797 – Wien 1828), die der Musikbegeisterte Hans Riehl besaß. [14] Die Anhänger Othmar Spanns planten nach dessen Tod, eine Gedenktafel an seinem Geburtshaus anzubringen. Von dem Unternehmen nahm man aber wegen befürchteter Zerstörungen wieder Abstand. [15] Die Mutter von Othmar Spann war die Hausfrau Wilhelmine Trendl (Zwentendorf an der Donau 1853 – Wien 1890), die um 1875 Josef Spann heiratete. [16] Heute Schloss Zwentendorf in Zwentendorf an der Donau, Schlossgasse 8. [17] Die Geschwister Othmar Spanns waren Hermine Spann (Altmannsdorf [heute zu Wien] 1876 – Wien 1943), Hausfrau, verheiratet mit dem Mathematiker Ettore Carl Maria Locchi (Moor in Tirol / Mori 1867 – ?), 1903 Gründer und bis 1925 Inhaber und Direktor der »Neuen Mittelschulinstitute ›Reform-Lyceum‹« zuerst in Wien 9., Marktgasse 8, dann in Wien 6., Getreidemarkt 3, und Wien 7., Hofstallstraße 5 (heute Museumstraße); Adele Spann (Altmannsdorf [heute zu Wien] 1880 – Wien 1961), Hausfrau, verheiratet mit dem Ingenieur und Manager David Jellinek (Wien 1881 – Wien 1965), der 1938 seinen Namen auf »Ferdinand Wintersberger« ändern ließ und ein Anhänger Othmar Spanns war; Richard Spann (Altmannsdorf [heute zu Wien] 1889 – Wien 1892). [18] Othmar Spanns Großmutter mütterlicherseits war Therese Pascher, deren Ehemann Andreas Pascher, ehemaliger Feldwebel, Inhaber der Tabaktrafik in Wien 12., Wilhelmsstraße 38. [19] Allina's Handelsschule, Wien 1., Kärntnerstraße 14. [20] Nur Absolventen der Matura (Reifeprüfung) hatten Anspruch auf die stark verkürzte Wehrdienstzeit von einem Jahr. Verbunden damit war und ist die Ausbildung zum Reserveoffizier. Bei dem von Hans Riehl angesprochenen Maturakurs dürfte es sich um jene Gewerbeschule in Wien handeln, aufgrund deren Abschluss Othmar Spann an der Universität Zürich zum Studium zugelassen wurde. [21] Das ist das k. u. k. Husaren-Regiment »Ferdinand I. König von Bulgarien« Nr. 11, gegründet 1762 als Székler Grenz-Husarenregiment, das seit 1889 seine Friedensgarnison in Steinamanger (heute Szombathely) hatte. [22] In Katzelsdorf an der Leitha, Hauptstraße 68, bei Wiener Neustadt, nahe der ungarischen Grenze, lag das Wohnhaus der Eltern von Hans Riehl. [23] Der tatsächliche Grund für das Studium im Ausland bestand im fehlenden Reifeprüfungszeugnis Othmar Spanns. Allerdings stimmt, dass man Staatswissenschaften an der Universität Wien erst seit 1919 studieren konnte. [24] Friedrich Julius (seit 1896: von) Neumann (Königsberg [heute Kaliningrad, Preußen ‹Калининград›, Russland] 1835 – Freiburg im Breisgau 1910), klassischer Nationalökonom; ab 1871 o. Prof. für Volkswirtschaft an der Universität Basel, ab 1873 an der Universität Freiburg im Breisgau und 1876–1908 o. Prof. für Finanzwissenschaft und Nationalökonomie an der Universität Tübingen. [25] Vgl. Othmar Spann, »Zur Kritik des Gesellschaftsbegriffes der modernen Soziologie«, staatswiss. Diss., promoviert an der Universität Tübingen am 16. Juli 1903 zum Doctor scientiae politicae (Dr. sc. pol.) »summa cum laude«. Gedruckt unter dem Titel: Untersuchungen über den Begriff der Gesellschaft zur Einleitung in die Soziologie. I. Band: Zur Kritik des Gesellschaftsbegriffes der modernen Soziologie. Tübingen: Laupp 1905, 150 S., Separatdruck aus: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft (Tübingen), 59. Jg. (1903), S. 573–596, 60. Jg. (1904), S. 462–508, 61. Jg. (1905), S. 302–344 & 427–460. Dissertationsvater war Heinrich Triepel (Leipzig 1868 – Grainau 1946), 1900–1909 o. Prof. für Öffentliches Recht an der Universität Tübingen. [26] Recte Albert Eberhard Friedrich Schäffle (Nürtingen / Württemberg 1831 – Stuttgart 1903), Nationalökonom und Soziologe; 1860–1868 o. Prof. für Politische Ökonomie und Staatswissenschaft, Nationalökonomie und Allgemeine Wirtschaftslehre an der Universität Tübingen und 1868–1871 o. Univ.-Prof. für Nationalökonomie an der Universität Wien; 1861–1865 Mitglied des württembergischen Landtags; 1871 österreichischer Handelsminister; 1872 Rückkehr nach Stuttgart; seit 1875 Mitherausgeber bzw. Herausgeber der »Zeitschrift für die gesammte Staatswissenschaft« (Tübingen). Zu den angesprochenen Werken vgl. [Albert Schäffle]: Die Quintessenz des Socialismus. Gotha: Perthes 1875, 68 S.; ders.: Aus meinem Leben. Berlin: Hofmann 1905, XI, 256 & VII, 256 S. [27] Vgl. Othmar Spann nannte seinen ersten Sohn Adalbert Friedrich; vgl. Fußnote 43. Spann veröffentlichte allerdings eine Arbeit über Schäffle; vgl. Othmar Spann: Albert Schäffle als Soziologe, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft (Tübingen), 60. Jg. (1904), S. 209–225. [28] Vgl. Othmar Spann: Zur soziologischen Auseinandersetzung mit Wilhelm Dilthey, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft (Tübingen), 59. Jg. (1903), S. 193–222, den Theologen, Philosophen und Psychologen Wilhelm Dilthey (1833–1911) betreffend; vgl. Othmar Spann: Die Lehre Stammlers vom sozialpsychologischen Standpunkt aus betrachtet, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft (Tübingen), 58. Jg. (1902), S. 699–719, den Rechtsphilosophen Rudolf Stammler (1856–1938) betreffend. [29] Siehe Fußnote 25. [30] Recte Christian Jasper Klumker (Insel Juist 1868 – Hannoversch Münden 1942), Sozialfürsorger und Sozialpädagoge; seit 1899 Geschäftsführer der Centrale für private Fürsorge in Frankfurt am Main; seit 1914 a.o. Prof. für Armenpflege und soziale Fürsorge und 1920–1934 o. Prof. für Fürsorgewesen und Sozialpädagogik an der Universität Frankfurt am Main. [31] Tatsächlich war es der Unternehmer, Sozialpolitiker und Philanthrop Wilhelm Merton (d. i. William Moses; Frankfurt am Main 1848 – Berlin 1916), der 1890 das Institut für Gemeinwohl gründete, aus dem 1901 die Centrale für private Fürsorge hervorging. [32] »Aufnehmen« ist der von Othmar Spann geprägte Ausdruck für »studieren«, »erlernen«. [33] Es handelte sich um ein Preisausschreiben des »Deutschen Verbands für das kaufmännische Unterrichtswesen« unter Vorsitz des Juristen Johann Richard Stegemann (Groß-Wanzleben [heute zu Wanzleben-Börde] 1856 – Bad Harzburg 1925) im Jahr 1903, das der Wirtschaftswissenschaftler Léon Gomberg (Čerkassy ‹Черкассы›, Russland [heute Čerkasi ‹Черкаси›, Ukraine] 1866 – St. Gallen 1935), damals Professor an der Handelsakademie St. Gallen, gewann. [34] Vgl. Othmar Spann: Die Haupttheorien der Volkswirtschaftslehre auf dogmengeschichtlicher Grundlage. Leipzig: Quelle & Meyer 1911 (= Wissenschaft und Bildung. Einzeldarstellungen aus allen Gebieten des Wissens. Herausgegeben von Paul Herre. 95.), VIII, 132 S.; erschien dann unter dem Titel: Die Haupttheorien der Volkswirtschaftslehre auf lehrgeschichtlicher Grundlage. 3., vermehrte Auflage. Leipzig: Quelle & Meyer 1918 (= Wissenschaft und Bildung. Herausgegeben von Paul Herre. 95.), 144 S.; erschien mehrfach überarbeitet bis zur 26. Auflage. Heidelberg: Quelle & Meyer 1949, XV, 259 S., zuletzt 27., durchgesehene Auflage, eingerichtet von Oskar Müllern und Adam Reining. In einem Nachwort weitergeführt von Walter Heinrich. Graz: Akademische Druck- u. Verlagsanstalt 1967 (= Othmar Spann Gesamtausgabe. 2.), XVII, 383 S., davon 2. Auflage ebenda 1969; Übersetzungen ins Japanische (1926 und 1938), Schwedische (1927), Englische (1930), Spanische (1934), Italienische (1936) und Chinesische (1932 und 1935). [35] Adam Heinrich Müller (seit 1826: Ritter von Nitterdorf; Berlin 1779 – Wien 1829), Staats- und Gesellschaftstheoretiker; seit 1811 in Wien, seit 1813 im österreichischen Staatsdienst. Er galt Othmar Spann als klassischer Vordenker. Zum genannten Buch vgl. Adam Müller: Die Elemente der Staatskunst. Berlin: Sander 1809, XXVIII, 298, 375 & 328 S. Das dreibändige Werk erstand Othmar Spann übrigens 1907 bei einem Heidelberger Antiquar; vgl. Othmar Spann: Adam Müller, Schriften zur Staatsphilosophie. Ausgewählt und herausgegeben von Rudolf Kohler. Mit einem Vorworte von P. Erich Przywara, S. J. Gr.-8°. XII und 325 Seiten. München 1924. Theatinerverlag, in: Zeitschrift für Volkswirtschaft und Sozialpolitik. Neue Folge (Wien–Leipzig), 4. Bd. (1924), S. 396–397, hier S. 396. [36] Der große Adam Müller-Forscher im Kreis um Othmar Spann war Jakob Baxa (Wien 1895 – Mödling 1979), Soziologe, Wirtschafts- und Literaturhistoriker, Dichter. Er war der Erste, den Spann habilitierte (1923), und zwar mit dem auf Adam Müller aufbauenden Werk: Einführung in die romantische Staatswissenschaft. Jena: Gustav Fischer 1923 (= Ergänzungsbände zur Sammlung Herdflamme. 4.), VIII, 183 S. Baxa editierte nicht nur Werke Adam Müllers, sondern legte auch eine umfassende Sammlung von Dokumenten über denselben vor. Vgl. Reinhard Müller: Jakob Baxa (1895–1979). Soziologe, Wirtschafts- und Literaturhistoriker, Dichter, in: Newsletter. Archiv für die Geschichte der Soziologie in Österreich (Graz), Nr. 14 (Dezember 1996), S. 6–10. [37] Othmar Spann veröffentlichte in diesem Zusammenhang bis 1915 eine Reihe von Studien, von denen nur wenige in der sogenannten Gesamtausgabe der Werke Spanns abgedruckt wurden, weshalb hier erstmals eine Bibliografie dieser Arbeiten versucht wird. Vgl. Othmar Spann: Die geschlechtlich-sittlichen Verhältnisse im Dienstboten- und Arbeiterinnenstande, gemessen an den Erscheinungen der unehelichen Geburten, in: Zeitschrift für Socialwissenschaft (Berlin), 7. Jg. (1904), S. 287–303; Die Stiefvaterfamilie unehelichen Ursprungs. Zugleich eine Studie zur Methodologie der Unehelichkeitsstatistik. Mit einem Nachwort über die Bedeutung der Berufsvormundschaft von C[hristian] J[asper] Klumker, in: Zeitschrift für Socialwissenschaft (Berlin), 7. Jg. (1904), S. 539–578, auch als Separatdruck Berlin: Reimer 1904, 42 S.; Die unehelichen Geburten von Frankfurt a. M., in: Zeitschrift für Socialwissenschaft (Berlin), 7. Jg. (1904), S. 701–709; Über die Aufgaben und die Bedeutung der Berufsvormundschaft für uneheliche Kinder, in: Soziale Praxis (Leipzig), 14. Jg. (1904), Nr. 1, Sp. 7–10; Die Bedeutung der Berufsvormundschaft für den Schutz der unehelichen Kinder. Eine Denkschrift für den internationalen Kongreß für Erziehung und Kinderschutz in Lüttich. Dresden: Böhmert 1905, 31 S.; Untersuchungen über die uneheliche Bevölkerung in Frankfurt am Main. Unternommen im Auftrage der »Centrale für private Fürsorge«. Dresden: Böhmert 1905 (= Probleme der Fürsorge. 2.), VI, 178 S. & XXXIII Falttabellen, 2. Auflage ebenda 1912; Zur Begründung der Forderung einer Berufsvormundschaft für uneheliche Kinder, in: Die Jugendfürsorge (Berlin), 7. Jg. (1906), H. 1, S. 2–7; Die Berufsvormundschaft als Forderung der Unehelichkeitsstatistik. Denkschrift für den ersten österreichischen Kinderschutzkongreß. Wien: Hof- und Staatsdruckerei 1907, 15 S.; Lage und Schicksal der unehelichen Kinder, in: Mutterschutz. Zeitschrift zur Reform der sexuellen Ethik (Frankfurt am Main), 3. Jg. (1907), S. 345–358; Berufsvormundschaft und ihre Bedeutung, in: Blätter für Armenwesen und Jugendfürsorge (Graz), 12. Jg. (1908), S. 198; Die Verpflegungsverhältnisse der unehelichen Kinder, besonders in ihrer Bedeutung für die Sterblichkeit betrachtet, in: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik (Tübingen), 27. Jg. (1908), S. 686–729; Die Legitimation der unehelichen Kinder in Österreich unter Berücksichtigung der Sterblichkeit nach Gebieten, in: Statistische Monatsschrift. Neue Folge (Brünn), 14. Jg. (1909), S. 129–139; Die unehelichen Mündel des Vormundschaftsgerichtes in Frankfurt am Main. Statistische Untersuchung über Vormundschaftsführung und über die persönlichen Verhältnisse der unehelichen Kinder, namentlich ihre Verpflegungsverhältnisse, im Auftrage der »Centrale für private Fürsorge« unternommen. Dresden: Böhmert 1909 (= Probleme der Fürsorge. 5.), VII, 112 S. & 6 Falttabellen; Die Lage und das Schicksal der unehelichen Kinder. Vortrag gehalten in der Gehe-Stiftung zu Dresden am 13. Januar 1909. Leipzig–Dresden: Teubner 1909 (= Vorträge der Gehe-Stiftung zu Dresden. Band 1. 5.), 43 S.; Die Berufsvormundschaft und ihre Bedeutung. Den Teilnehmern der 5. Tagung Deutscher Berufsvormünder (Berlin 24.–26. Oktober 1910) überreicht vom Zentralblatt für Vormundschaftswesen, Jugendgerichte und Fürsorgeerziehung. Berlin–Dresden: Böhmert 1910, 10 S.; Bedingungen der Unehelichkeit, in: Die neue Generation (Berlin), 6. Jg. (1910), S. 28–35; Die Bedeutung des Pflegewechsels und der Verpflegungsform für die Sterblichkeit der unehelichen Kinder, in: Jahrbuch der Fürsorge (Dresden), 3. Jg. (1910), S. 1–49; Das uneheliche Kind, in: Süddeutsche Monatshefte (München), 7. Jg. (1910), S. 223–230; Statistische Aufgaben der Jugendfürsorge, insbesondere der Berufsvormundschaft, in: Zentralblatt für Vormundschaftswesen, Jugendgerichte und Fürsorgeerziehung (Berlin), 2. Jg. (1910/11), S. 97; Die Dezimierung der Unehelichen, in: Zentralblatt für Vormundschaftswesen, Jugendgerichte und Fürsorgeerziehung (Berlin), 3. Jg. (1911/12), S. 281; Die Erweiterung der Sozialpolitik durch die Berufsvormundschaft, in: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik (Tübingen), 34. Jg. (1912), S. 505–561, auch als Separatdruck Tübingen: Mohr 1912, III, 57 S.; Die Zukunft der Berufsvormundschaft, in: Zeitschrift für Armenwesen (Berlin), 13. Jg. (1912), S. 161–162; Wesen und Notwendigkeit der Berufsvormundschaft, in: Der Staatsbürger (Stuttgart), 3. Jg. (1912), S. 673–684; Organisation des Kinderschutzes in den Städten, in: Jahrbuch der Deutschen Landeskommission für Kinderschutz und Jugendfürsorge in Mähren (Brünn), 1. Bd. (1915), S. 14–19. [38] Neben den bereits und auch später noch genannten Arbeiten veröffentlichte Othmar Spann vor dem Ersten Weltkrieg eine Reihe anderer sozialwissenschaftlicher Studien; vgl. Othmar Spann: Die finale Methode in der Sozialwissenschaft, in: Zeitschrift für Sozialwissenschaft (Berlin), 8. Jg. (1905), S. 306–313; Zur Logik der wissenschaftlichen Begriffsbildung, in: Zur Logik der sozialwissenschaftlichen Begriffsbildung. Festgabe für Friedrich Julius Neumann. Herausgegeben von Othmar Spann. Tübingen: Laupp 1905, S. 161–178; Über das Verhältnis der Philosophie, insbesondere der Erkenntnistheorie, zur Soziologie, in: Volkswirtschaftliche Blätter (Berlin), 5. Jg. (1906), S. 189–193; Auguste Comte, in: Zeitschrift für Socialwissenschaft (Berlin), 11. Jg. (1908), S. 489–492, Wiederabdruck in Othmar Spann: Frühe Schriften in Auswahl. Erste Auflage, eingerichtet von Norbert Hentschel und Erwin Sulek. Mit einem Nachwort von Jakob Baxa. Graz: Akademische Druck- u. Verlagsanstalt 1974 (= Othmar Spann Gesamtausgabe. 1.), S. 271–277; Der logische Aufbau der Nationalökonomie und ihr Verhältnis zur Psychologie und zu den Naturwissenschaften, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft (Tübingen), 64. Jg. (1908), S. 1–57; Die mechanisch-mathematische Analogie in der Volkswirtschaftslehre, in: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik (Tübingen), 30. Jg. (1910), S. 786–824, Wiederabdruck in Othmar Spann: Frühe Schriften in Auswahl, siehe oben, S. 279–331; Die gegenwärtige Fleischteuerung vom nationalökonomischen Standpunkt betrachtet, in: Neue Freie Presse (Wien), Nr. 16907 (16. September 1911), S. 21–22; Neuere Sozialphilosophische Literatur, in: Zeitschrift für Socialwissenschaft. Neue Folge (Wien–Leipzig), 3. Jg. (1912), S. 489–498, Wiederabdruck in Othmar Spann: Frühe Schriften in Auswahl, siehe oben, S. 333–345; Die Bevölkerungstheorie von Robert Malthus, in: Der Staatsbürger (Stuttgart), 2. Jg. (1912), S. 529–539; Kantische und Marxische Sozialphilosophie, in: Archiv für die Geschichte des Sozialismus und der Arbeiterbewegung (Leipzig), 11. Jg. (1912), 2. Bd., S. 128–134; Die Staatsidee in der Lehre des Kungfutse, in: Süddeutsche Monatshefte (München), 9. Jg. (1911/12), S. 407–414; Zur Soziologie und Philosophie des Krieges. Vortrag, gehalten am 30. November 1912 im Verband Deutsch-Völkischer Akademiker zu Brünn. Berlin: Guttentag 1913, 39 S.; Theorie der Preisverschiebung als Grundlage zur Erklärung der Teuerungen, in: Zeitschrift für Volkswirtschaft, Sozialpolitik und Verwaltung (Wien), 22. Jg. (1913), S. 225–288, auch Separatdruck Wien: Manz 1913, 62 S., Wiederabdruck in Othmar Spann: Frühe Schriften in Auswahl, siehe oben, S. 347–410; Produktivität der Berufsstände insbesondere der Beamten, in: Jahrbuch der Gesellschaft Österreichischer Volkswirte (Wien), 22. Bd. (1913), S. 147–165; Soziologie, in: Jahrbücher der Philosophie (Berlin), 1. Jg. (1913), S. 300–321 & 378, 2. Jg. (1914), S. 119–150; Vom deutschen Staatsideal, in: Deutsche Arbeit (München), 12. Jg. (1912/13), S. 141–144; Von der Würde der gesellschaftswissenschaftlichen Erkenntnis, in: Post (Berlin) vom 3. Juli 1914. [39] Gemeint ist die von Hans Riehl auf Gesprächen mit Othmar Spann basierende, jedoch nicht erhalten gebliebene Biografie Spanns, die dann auf dessen Wunsch nicht fertiggestellte wurde, auf der aber dieser Vortrag Riehls beruht. [40] Das im Nachlass Spann erhalten gebliebene Drama ist unveröffentlicht. Zur Bedeutung der Figur der Genoveva siehe auch den zweiten Vornamen von Raphael Spann; siehe Fußnote 43. [41] Vgl. Othmar Rheinsch [d. i. Othmar Spann] und Erika Rheinsch [d. i. Erika Reinsch]: Die Motive aus dem Ring Richard Wagners. Lyrische Nachdichtungen. Wien–Leipzig: Gerlach & Wiedling 1906, 32 S. Vgl. auch Erika Rheinsch [d. i. Erika Reinsch]: Tragödien und Festgesänge der Blumen und Bäume. Skizzen und Gedichte. Frankfurt am Main: Demuth 1907 [recte 1906], 237 S., an denen Othmar Spann ebenfalls mitarbeitete. [42] Erika Spann-Rheinsch, Pseudonym für Erika Emma Emilie Hedwig Gertrude Spann, geborene Reinsch (Trennfeld 4. Oktober 1880 – Neustift bei Schlaining [heute zu Mariasdorf / Máriafalva] 25. August 1967), Lyrikerin und Erzählerin, trat auch als Übersetzerin und als Forscherin insbesondere auf dem Gebiet der Etruskologie hervor. Am 4. Juni 1902 Ehe mit dem Publizisten und späteren Hochschulprofessor für Wirtschaftswissenschaft Hanns Dorn (Kempten 8. Juli 1878 – München 4. August 1934). Aus der Ehe stammt der Sohn Heinrich Dorn (Wien 7. Juli 1905 – Deidesheim 2. Mai 1924), der zunächst in der Familie Spann aufwuchs, den aber Erika Spann im September 1913 ihrer Freundin, der Lehrerin Helene Roller (Brünn [heute Brno] 1876 – Brno 1945), zur Pflege übergab. Hanns Dorn gab 1905 bis 1907 zusammen mit Othmar Spann die »Kritischen Blätter für die gesamten Sozialwissenschaften« (Dresden) herausgab. Bereits 1903 lernte Erika Dorn Othmar Spann kennen, den sie – nach der Trennung 1905 und der Scheidung von Dorn am 10. Juli 1906 – am 17. Oktober 1906 im englischen Dover heiratete. Mit Othmar Spann arbeitete sie – vor allem als erste Kritikerin und Hauptlektorin seiner Werke – eng zusammen und verwaltete nach dessen Tod sein Erbe. [43] Adalbert Friedrich Spann (Frankfurt am Main 25. August 1907 – bei Jel'nja ‹Ельня›, Sowjetunion [heute Russland] 3. März 1942), Dr. jur.; Mitarbeiter diverser Zeitschriften und Übersetzer aus dem Englischen; Mitglied des »Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbunds« (NSDStB) in Wien; Oktober bis November 1934 als SS-Oberscharführer im Anhaltelager Wöllersdorf (heute Wöllersdorf-Steinabrückl) interniert; danach in Deutschland aktiv, 1938 Mitglied der 1. SS-Panzer-Division Leibstandarte-SS Adolf Hitler im Rang eines Untersturmführers, kurz danach (angeblich unehrenhaft) entlassen; arbeitete zuletzt in der juristischen Abteilung des Reichsministeriums für Ernährung und Landwirtschaft; 1941 als Oberleutnant zur Deutschen Wehrmacht an die Ostfront abkommandiert und in Russland gefallen. – Er hatte einen jüngeren Bruder: Raphael Genoveva Hyperion Spann (Kempten 10. Juni 1909 – Wien 21. Oktober 1983), bis 1945 meist nur »Rafael« genannt, Dr. jur.; Mitarbeiter diverser Zeitschriften und Übersetzer aus dem Italienischen (darunter Texte von Benito Mussolini); seit März 1938 für neun Monate Gestapo-Haft in Berlin beziehungsweise im Konzentrationslager Sachsenhausen; danach in der Luftfahrtindustrie tätig, 1942 bis 1945 Mitglied der Widerstandsgruppe »W-ASTRA«; 1948 von den sowjetischen Besatzungstruppen aus Wien in die Sowjetunion verschleppt; 1955 Freilassung und Rückkehr nach Wien; seit 1959 kommerzieller und administrativer Geschäftsführer der »Österreichischen Studiengesellschaft für Atomenergie« in Wien, seit 1960 am Aufbau des Österreichischen Reaktorzentrums Seibersdorf (heute Austrian Institute of Technology) in Seibersdorf beteiligt; nach Vorwürfen gegen seine Geschäftsführung 1973 entlassen. Er war stets ein enger Vertrauter und Mitarbeiter seines Vaters und nach dessen Tod zunächst gemeinsam mit seiner Mutter, nach deren Ableben alleiniger Verwalter von Othmar Spanns Erbe. Er starb an den Folgen eines Reitunfalls. [44] Brünn, Hauptstadt des Kronlandes Mähren (heute Brno, Tschechische Republik). [45] Friedrich Gottl von Ottlilienfeld (d. i. bis 1909: Friedrich Gottl, seit 1919: Friedrich Gottl-Ottlilienfeld; Wien 1868 – Frankfurt am Main 1958), Nationalökonom; 1900 habilitiert an der Universität Heidelberg; 1902 a.o. Prof., 1904 o. Prof. für Staatswissenschaften an der Deutschen Technischen Hochschule Brünn; 1908–1920 o. Prof. für Staatswissenschaften an der Technischen Hochschule München; 1920–1924 o. Univ.-Prof. für Nationalökonomie an der Universität Heidelberg und 1924–1926 an der Universität Kiel, 1926–1945 o. Univ.-Prof. für Theoretische Nationalökonomie an der Universität Berlin, daneben 1926–1941 Honorarprofessor an der Technischen Hochschule Berlin. Die angesprochene Waffenübung fand bereits 1906 statt, und Spann besuchte Gottl von Ottlilienfeld bereits Ende August oder Anfang September 1906. [46] Recte am 27. April 1907 an der Deutschen Technischen Hochschule Brünn aufgrund der Arbeit »Wirtschaft und Gesellschaft. Eine dogmenkritische Untersuchung« für Statistik habilitiert; am 7. Mai 1908 Erweiterung der Venia Legendi auf Statistik und Nationalökonomie. Die Habilitationsschrift erschien unter dem Titel: Untersuchungen über den Gesellschaftsbegriff zur Einleitung in die Soziologie. 1. Band: Wirtschaft und Gesellschaft. Eine dogmenkritische Untersuchung. Dresden: Böhmert 1907, VIII, 232 S., Wiederabdruck unter dem ursprünglichen Titel in Othmar Spann: Frühe Schriften in Auswahl, siehe Fußnote 38, S. 1–270. [47] Dies schlug sich auch in den Publikationen Othmar Spanns nieder; vgl. Zur Soziologie der Nation, in: Die Geisteswissenschaften (Leipzig), 1. Jg. (1913/14), S. 127–130; Grundlagen des Nationalbewußtseins, in: Deutsche Arbeit (München), 13. Jg. (1913/14), S. 759–762; Die wissenschaftlichen Grundlagen des Nationalbewußtseins, in: Das neue Deutschland (Berlin), 2. Jg. (1913/14), S. 284–287; Über den Begriff der Nation, in: Die Geisteswissenschaften (Leipzig), 1. Jg. (1913/14), S. 532–536 & 560–565, Wiederabdruck in Othmar Spann: Frühe Schriften in Auswahl, siehe Fußnote 38, S. 411–435; Vom Wesen des Volkstums. Was ist deutsch? Ein Vortrag. Eger: Böhmerland-Verlag 1920 (= Von deutscher Art und Bildung. / Böhmerland-Flugschrift für Volk und Heimat. 24.), 24 S., verbesserte 2. Auflage, 7.–15. Tausend. Augsburg: Stauda 1924 (= Von deutscher Art und Bildung. / Böhmerland-Flugschrift für Volk und Heimat. 24.), 24 S., 3., neuerdings durchgesehene Auflage, Berlin–Wien: Erneuerungs-Verlag 1929 (= Schriften des Widerstands. 3.), V, 62 S., 3. [recte 4.] Auflage ebenda 1922 [recte 1931], V, 62 S., Wiederabdruck in Othmar Spann: Kleine Schriften zur Wirtschafts- und Gesellschaftslehre. Erste, durchgesehene Auflage, eingerichtet von Norbert Hentschel und Erwin Sulek. Mit einem Nachwort von Jakob Baxa. Graz: Akademische Druck- u. Verlagsanstalt 1975 (= Othmar Spann Gesamtausgabe. 8.), S. 3–46. [48] Seit August 1908 war Othmar Spann hauptberuflich Vizesekretär der k. k. Statistischen Zentralkommission in Wien, womit auch seine Zeit als Staatsbediensteter begann, bis 1909 beauftragt mit der wissenschaftlichen Organisation der österreichischen Volkszählung von 1910. [49] Es war sicher nicht der bereits 1903 verstorbene Albert Schäffle (siehe Fußnote 26). Richtig ist jedoch das Engagement für Othmar Spann von Eugen Philippovich Freiherr von Philippsberg (d. i. bis 1860: Eugen von Philippovich; Wien 1858 – Wien 1917), Nationalökonom; 1884 habilitiert für Politische Ökonomie an der Universität Wien, seit 1885 a.o. Univ.-Prof. ebenda; 1888–1893 o. Univ.-Prof. für Nationalökonomie an der Universität Freiburg im Breisgau; 1893–1917 o. Univ.-Prof. für Politischen Ökonomie und Finanzwissenschaft an der Universität Wien; außerdem seit 1907 Mitglied des Herrenhauses und geistiger Führer der 1896 gegründeten »Sozialpolitischen Partei«. [50] Gemeint ist die k. k. Statistische Zentralkommission, die heutige Statistik Austria, Bundesanstalt Statistik Österreich, in Wien. [51] Vgl. Othmar Spann: Erhebungstechnische Probleme der österreichischen Volkszählung, in: Statistische Monatsschrift. Neue Folge« (Brünn), 14. Jg. (1909), S. 1–16 & 65–74; Bevölkerungsstatistische Literatur, in: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik (Tübingen), 28. Jg. (1909), S. 531–539. [52] Othmar Spann war seit 1. März 1909 a.o. Prof. für Volkswirtschaftslehre, seit 1. Februar 1911 o. Prof. für Volkswirtschaftslehre und Statistik. [53] Gemeint ist der Rot(h)e Berg (heute Červený kopec). Die Familie Spann wohnte allerdings seit Februar 1908 in Neu-Leskau bei Brünn (heute Nový Lískovec, zu Brno), seit 1909 direkt in Brünn, in der Blütenstraße 72 (heute Květná), und seit 1915 in der Steinmühlgasse 10 (heute Kamenomlýnská). [54] Vgl. Erika Rheinsch: Tragödien und Festgesänge der Blumen und Bäume. Frankfurt am Main: Demuth 1907 [recte 1906], 237 S., an denen auch Othmar Spann mitarbeitete; Schöne Welt! Gedichte. Frankfurt am Main: Demuth 1907, 160 S.; Andachten. Gedichte. Frankfurt am Main: Demuth 1908, 63 S.; Das Kindlein. Erzählung. Herausgegeben von Erika Rheinsch. München–Leipzig: Frauenverlag 1911, 145 S., 2. Auflage Jena–Leipzig: Frauenverlag 1917, 170 S., davon Titelausgabe Wien–München: Wiener Literarische Anstalt 1922; Die Laute. Lieder und Gedichte. Berlin: Fleischel 1913, 118 S.; Erika Spann-Rheinsch: Trutznachtigall. Deutsche Lieder. Eger: Böhmerland-Verlag 1919 (= Böhmerland-Flugschrift. 6.), 34 S., dann unter dem Titel: Trutznachtigall. Lieder und Gedichte. 2. veränderte Auflage. Die neue Auflage (5.–7. Tausend) bringt sieben neue Gedichte an Stelle von ebensoviel ausgefallenen. Eger: Böhmerland-Verlag 1920, 22 S.; Deutschlehre. Eger: Böhmerland-Verlag 1920 (= Böhmerland-Flugschrift für Volk und Heimat. 30.), 7 S., nach Beschlagnahme 2. Auflage, 11.–15. Tausend, ebenda 1920, 7 S.; Parazelsus und sein Jünger. Dichtung von der inneren und äußeren Welt. Reichenberg: Stiepel [1921], 58 S. (das ist der hier von Hans Riehl erwähnte Band); Frohe Wanderschaft. Lieder. Wien–London–New York: Sesam-Verlag [1922] (= Sesam-Bücher. 13.), 16 S., 6.–10. Tausend. Wien: Deutscher Verlag für Jugend und Volk 1922 (= Sesam-Bücher. 13.), 16 S.; Kung-Fu-Tse [d. i. Kǒng Zǐ ‹孔子›]: 50 Sprüche. Aus dem Chinesischen von Erika Spann-Rheinsch. Wien: Deutscher Verlag Jugend und Volk 1922 (= Sesam-Bücher. 38.), 16 S.; Buch der Einkehr. Lieder und Gedichte. Wien–Leipzig: Strohmer 1923, 152 S.; Gruß aus Brünn. Lieder und Gedichte. Augsburg: Stauda 1925 (= Sudetendeutsche Sammlung. 4.), 36 S.; Vor attischen Grabmälern. Dichtungen. München: Bruckmann 1925, 62 S. & 24 Tafeln; Das selige Buch. Lieder und Gedichte. Augsburg–Kassel: Bärenreiter 1925, 102 S.; Messe von der Wiedergeburt. Gedichtet. Illertissen: Martinusbuchhandlung Sonntag 1926, 50 S.; Geistliches Bilderbuch. Hellerau: Hegner 1930, 246 S.; Kretische und vorgriechische Sprache. 1. Ein kretischer Heilspruch. St. Gabriel-Mödling: Anthropos 1930, S. 1003–1009, Separatdruck aus: Anthropos (Mödling), 25. Jg. (1930); Gestalt und Geheimnis. Lieder und Gedichte. Berlin–Wien–Leipzig: Zsolnay 1936, 119 S.; Dem Dichter Wladimir von Hartlieb zu seinem 50. Geburtstagsfeste, 19. Februar 1937. [Wien]: Bund der deutschen Schriftsteller Österreichs 1937, 2 Bl., Sparatdruck aus: Der Augarten (Wien), 3. Jg. (1937); Wiener Dombaumesse. Text von Erika Spann-Rheinsch. Musik von Alfred Spannagl. Wien: Volksliturgischer Verlag [1947], 8 S.; Geistliche Hymnen aus dem Liederschatz der katholischen Kirche. In den Versmaßen der Urtexte nachgedichtet von Erika Spann-Rheinsch. Salzburg–München / München: Stifterbibliothek / Manz 1960 (= Stifterbibliothek. [154/155]. [Dichtung der Zeit].), 104 S.; Gloria, laus et honor. Geistliche Texte und Lieder aus dem Osterfestkreis. In den Versmaßen der Urtexte nachgedichtet von Erika Spann-Rheinsch. Salzburg–München / München: Stifterbibliothek / Manz 1962 (= Stifterbibliothek. [156/157]. [Dichtung der Zeit].), 104 S. Außerdem gab sie Werke von Matthias Claudius, Annette von Droste-Hülshoff, Johann Wolfgang von Goethe, Friedrich Hebbel, Eduard Mörike, Friedrich von Schiller und Ludwig Uhland heraus und war Leiterin der Sonntagsbeilage des »Österreichischen Beobachters«: Der Bergkristall (Wien), 1. Jg. (28. Januar bis 8. April 1934). [55] Nordöstlich von Brno gelegen, ist die Macocha (deutsch »Mazocha«, auch »Stiefmutterschlucht« genannt) ein 138 Meter tiefer Trichter, Teil des Mährischen Karsts (Moravský kras). [56] Vgl. Othmar Spann: Kurzgefaßtes System der Gesellschaftslehre. Berlin: Guttentag 1914, XVI, 384 S.; Titelausgabe Leipzig: Quelle & Meyer 1914; seither unter dem Titel: Gesellschaftslehre. 2., neubearbeitete Auflage. Leipzig: Quelle & Meyer 1923, XXVIII, 566 S.; 3., abermals neubearbeitete Auflage, ebenda 1930, XXVII, 592 S.; 4., durchgesehene Auflage, eingerichtet von Horst Kitzmantel. Mit einem Nachwort von Walter Heinrich. Graz: Akademische Druck- u. Verlagsanstalt 1969 (= Othmar Spann Gesamtausgabe. 4.), XXIII, 750 S. [57] Vgl. Othmar Spann: Fundament der Volkswirtschaftslehre. Jena: Gustav Fischer 1918, XII, 292 S.; 2., durchgesehene Auflage, vermehrt durch einen Anhang: Vom Geist der Volkswirtschaftslehre, ebenda 1921, XVI, 372 S.; 3., durchgesehene Auflage, ebenda 1923, XVI, 382 S.; 4., neuerdings durchgesehene Auflage (6. und 7. Tausend), ebenda 1929, XVIII, 383 S.; 5., durchgesehene Auflage, eingerichtet von Oskar Müllern. Mit einem Nachwort von Walter Heinrich. Graz: Akademische Druck- und Verlagsanstalt 1967 (= Othmar Spann Gesamtausgabe. 3.), XV, 470 S. [58] Schon früh nahm Othmar Spann, der als Leutnant der Reserve im August 1914 bei der Schlacht um Krasne, Galizien (heute Krasne ‹Красне›, Ukraine) durch einen Schuss am rechten Unterarm verwundet wurde, zum Krieg Stellung; vgl. Othmar Spann: Vom Wesen des Krieges, in: Post (Berlin) vom 11. September 1914; Ein Beitrag zur volkswirtschaftlichen Theorie des Krieges und der Kriegskosten, in: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik (Jena), 105. Bd. / 3. Folge, 50. Bd. (1915), S. 608–624. Zu seinen Arbeiten im Rahmen des Wissenschaftlichen Komitees für Kriegswirtschaft des Kriegsministeriums in Wien, bei dem er 1916 bis 1918 arbeitete, vgl.: Die Bestimmung des Zollvereins, in: Europäische Staats- und Wirtschaftszeitung (München), 1. Jg. (1916), S. 970–975; Bemerkungen zu Irving Fishers Geldlehre, in: Schmollers Jahrbuch (München), 41. Jg. (1917), S. 1565–1576; Wie kann unsere Volkswirtschaft die Kriegskosten tragen?, in: Deutsche Arbeit (München), 16. Jg. (1917), S. 230–233; Vom Begriff der Wirtschaft zum Begriffsgebäude der Volkswirtschaftslehre, in: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik (Jena), 110. Bd. / 3. Folge, 55. Bd. (1918), S. 529–596 & 657–694. [59] Hans Mayer (Wien 1879 – Wien 1955), Nationalökonom; 1912–1914 a.o. Univ.-Prof. an der Universität Freiburg in der Schweiz, 1914–1921 o. Prof. an der deutschen Technischen Hochschule in Prag und 1921–1923 o. Univ.-Prof. an der Universität Graz; 1923–1950 o. Univ.-Prof. für Volkswirtschaftslehre, Volkswirtschaftspolitik und Finanzwissenschaft an der Universität Wien. [60] Michael Hainisch (Aue [heute zu Gloggnitz] 1858 – Wien 1940), großdeutscher Politiker und Sozialwissenschaftler; 1920–1928 erster Bundespräsident der Republik Österreich; 1929–1930 Bundesminister für Handel und Verkehr. Ökonomisch stand er den Fabians nahe. Hans Riehl arbeitete bei ihm 1922 bis 1926 als Bibliothekar in dessen Privatbibliothek. [61] Als Anhänger und bedeutender Vertreter der österreichischen Schule der Nationalökonomie war Hans Mayer ein exponierter wissenschaftlicher Gegner Othmar Spanns an der Universität Wien. [62] Die Familie Spann wohnte 1916 bis 1918 in Wien 2., Valeriestraße 80 (1919 in »Böcklinstraße« umbenannt), nahe dem Natur- und Vergnügungspark Prater. [63] Vgl. Othmar Spann: Vom Geist der Volkswirtschaft. Antrittsrede, gehalten am 5. Mai 1919 an der Universität Wien. Jena: Gustav Fischer 1919, 48 S., Wiederabdruck in: Fundament der Volkswirtschaftslehre. 5., durchgesehene Auflage, eingerichtet von Oskar Müllern. Mit einem Nachwort von Walter Heinrich. Graz: Akademische Druck- und Verlagsanstalt 1967 (= Othmar Spann Gesamtausgabe. 3.), S. 387–429. [64] In Wien 19., Blaasstraße 3, wohnten Othmar Spann seit 1919 und Erika Spann-Rheinsch seit 1920. [65] Eigentlich Konzertsaal im neuen Musikvereinsgebäude, Wien 1., Dumbagasse 3 / Karlsplatz 6, wo Othmar Spann im November 1919 den angesprochenen Vortrag hielt. [66] Gemeint ist Carl Grünberg (d. i. Karl Saul Grünberg; Focşani 1861 – Frankfurt am Main 1940), Sozialhistoriker und Soziologe; seit 1881 in Wien; 1894 habilitiert für Politische Ökonomie an der Universität Wien; 1900–1909 a.o. Univ.-Prof., 1909–1912 o. Univ.-Prof. für Politische Ökonomie, 1912–1924 o. Univ.-Prof. für Neuere Wirtschaftsgeschichte ebenda; seit 1924 o. Univ.-Prof. für Wirtschaftliche Staatswissenschaften an der Universität Frankfurt am Main und 1924–1929 Direktor des für ihn eingerichteten Instituts für Sozialforschung ebenda. Der deklarierte Marxist gehörte zu den erbittertsten Gegnern Othmar Spanns an der Universität Wien. [67] Wie schon die Namensverwechslung zeigt, ist diese in den Vortrag eingeflochtene Anekdote Hans Riehls wenig glaubhaft. Außerdem ging Carl Grünberg nicht in die Vereinigten Staaten von Amerika, sondern wurde an die Universität Frankfurt am Main berufen. [68] Vgl. Othmar Spann: Die Irrungen des Marxismus. Darstellung und Prüfung seiner Wirtschaftslehre. Wien–Graz–Klagenfurt: Verlag des Steirischen Heimatschutzverbandes 1929, 43 S., Die Irrungen des Marxismus. Eine Darstellung und Prüfung seiner Wirtschaftslehre. Berlin-Wilmersdorf: Erneuerungsverlag 1929, 43 S., 2., durchgesehene Auflage. Wien–Graz–Klagenfurt: Verlag des Steirischen Heimatschutzverbandes 1929, 52 S., 3., abermals durchgesehene Auflage. Berlin-Wilmersdorf: Erneuerungs-Verlag 1931 (= Bücherei des Ständestaates. 1.), 56 S., Übersetzungen ins Japanische (1932) und Italienische (1995); Hauptpunkte der universalistischen Staatsauffassung, in: »Nationalwirtschaft« (Berlin), 3. Jg. (1929/30), Nr. 1, S. 1–10, 2., erweiterte Auflage, Berlin–Wien: Erneuerungs-Verlag 1931 (= Bücherei des Ständestaates. 3.), 32 S. [69] Im niederösterreichischen Kartäuserkloster Gaming veranstaltete Othmar Spann seit 1924 regelmäßig Seminare in Form sogenannter Studententreffen. Diese »Gaminger Tagungen« entwickelten sich zu Hauptversammlungen des später so genannten Spannkreises. Im Juni 1936 hielt Spann hier seine letzten Vorträge. Diese Versammlungen wurden seit 1951 als »Herbsttreffen« zunächst an unterschiedlichen Orten fortgesetzt und nach der 1955 erfolgten Gründung der »Gesellschaft für Ganzheitsforschung« im salzburgischen Filzmoos abgehalten. Dieses Referat Hans Riehls fand im Rahmen eines derartigen Herbsttreffens der Spann-Anhänger statt. [70] Die Mitteilung stammte vom Primararzt Oskar Kauffmann (Triest, Reichsunmittelbare Stadt Triest [heute Trieste, Italien] 1898 – Klagenfurt am Wörthersee / Celovec ob Vrbskem jezeru, Kärnten 1955), Psychiater und Funktionär der »Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei« (NSDAP); Angehöriger des weiteren so genannten Spannkreises. [71] Walter Pfrimer (Marburg an der Drau, Steiermark [heute Maribor, Slowenien] 1881 – Judenburg 1968), Rechtsanwalt und nationalsozialistischer Politiker; 1922 Mitbegründer der paramilitärischen Organisation »Selbstschutzverband Steiermark«, 1928 als Vertreter der großdeutschen Richtung Zweiter Bundesführer der Heimwehren; unternahm am am 12. September 1931 einen Putschversuch (»Pfrimer-Putsch«), um die Heimwehren an die Macht zu bringen; seit 1933 Mitglied der NSDAP, 1938 Abgeordneter zum Großdeutschen Reichstag; 1945–1947 inhaftiert, danach wieder als Rechtsanwalt tätig. [72] Richard Steidle (Untermais, Tirol [heute zu Meran / Merano, Italien] 1881 – KZ Buchenwald 1940), Rechtsanwalt und christlichsozialer Politiker; 1919–1934 Abgeordneter im Tiroler Landtag, 1922–1931 Bundesratsabgeordneter; 1920 Gründer der »Tiroler Heimwehr«, 1926–1930 Bundesführer der österreichischen Heimatschutzverbände, 1932–1934 Stellvertreter des Bundesführers; 1933 Opfer eines Attentats von Nationalsozialisten. [73] Elsa Bruckmann, geborene Prinzessin Cantacuzène (Gmunden 1865 – Garmisch-Partenkirchen 1946), Münchner Salondame und Gönnerin Adolf Hitlers, Ehefrau des Münchner Verlegers Hugo Bruckmann (München 1863 – München 1941), setzte sich unter anderem für die Entlassung Othmar Spanns aus der Haft 1938 und Raphael Spanns aus dem Konzentrationslager Sachsenhausen 1939 ein. Hier ist das Treffen vom 19. Mai 1933 gemeint, bei dem Spann gemeinsam mit Walter Heinrich bei Adolf Hitler über die ständische Selbstverwaltung vortragen sollte. Es kam jedoch nur zu einer kurzen Begegnung, bei der Hitler Spann äußerst abweisend behandelt haben soll. Bereits am 23. Februar 1929 war es übrigens an der Universität in München zu einer ersten Begegnung zwischen Spann und Hitler gekommen, die aber über einen Händedruck nicht hinausging; vgl. [anonym]: Die neue Welt, in: Mitteilungen des Kampfbundes für Deutsche Kultur (München), 1. Jg., Nr. 3 (8. März 1929), S. 6. [74] Am 14. März 1938 fand bei Othmar Spann eine Hausdurchsuchung in der Wiener Wohnung satt, und am 17. März wurde er verhaftet und nach München gebracht, wo er bis 6. August 1938 inhaftiert blieb. Danach zog er sich auf das 1934 erworbene sogenannte Werkschloss in Neustift bei Schlaining (heute zu Mariasdorf / Máriafalva), Burgenland, zurück, wo er bis zu seinem Tod lebte. Als Universitätsprofessor wurde Spann mit Wirkung vom 4. April 1938 »bis auf Weiteres beurlaubt« und mit Wirkung vom 28. Mai 1938 zwangsweise pensioniert. Die am 29. März 1939 verfügte Entziehung seiner Pension konnte er erst drei Jahre später erfolgreich einklagen, wobei das Gericht die verspätete Zustellung an Othmar Spann als Begründung ansah. 1945 wurde Othmar Spann wieder als o. Univ.-Prof. für Volkswirtschafts- und Gesellschaftslehre an der Universität Wien eingesetzt, gleichzeitig jedoch beurlaubt und »nach Erreichung der Altersgrenze« 1949 – ohne seit 1938 eine Vorlesung an der Universität Wien gehalten zu haben – mit vollen Bezügen pensioniert. [75] Armin Dadieu (Marburg an der Drau, Steiermark [heute Maribor, Slowenien] 1901 – Graz 1978), Chemiker und führender nationalsozialistischer Politiker in der Steiermark; 1932–1933 a.o. Prof. für Chemie an der Technischen Hochschule Graz, 1938–1945 o. Univ.-Prof. für Chemie an der Universität Graz; 1938–1940 Landesstatthalter und 1940–1945 Gauhauptmann der Steiermark, außerdem Chef der Gauselbstverwaltung. [76] Vgl. Othmar Spann: Religionsphilosophie auf geschichtlicher Grundlage. Wien: Gallus 1947, XII, 397 S., 2., durchgesehene Auflage, eingerichtet von Erwin Sulek. Mit einem Nachwort von Wilhelm Keilbach. Graz: Akademische Druck- u. Verlagsanstalt 1970 (= Othmar Spann Gesamtausgabe. 16.), XIV, 470 S. [77] Teile der hier erwähnten Korrespondenz von Othmar Spann an Hans Riehl sind erhalten, nämlich im Nachlass Hans Riehl im Archiv für die Geschichte der Soziologie in Österreich (AGSÖ), Graz, Signatur 11. [78] 1923 bis 1932 verbrachte Othmar Spann die Sommermonate regelmäßig In der Lahn, auch »In der Huben« oder »Lahnhuben« genannt, einem Jagdhaus zwischen Hafning bei Trofaiach und Vordernberg, Steiermark, wo auch viele seiner Schriften entstanden. Das Haus gehörte »Zimse« Maria Klinger (Wien 1889 – Wien 1976), Tochter des Industriellen, Maschineningenieurs und Erfinders Richard Klinger (Böhmisch Aicha [heute Český Dub] 1860 – Gumpoldskirchen 1928). Sie gehörte zum weiteren sogenannten Spannkreis und heiratete 1941 den Schriftsteller und Journalisten Wladimir von Hartlieb (bis 1919: Freiherr von Wallthor; Görz [heute Gorizia] 1887 – Werfen 1951), Angehöriger des engeren sogenannten Spannkreises. Maria Hartlieb-Klinger trat auch als Malerin (»M. M.«) und Fotografin an die Öffentlichkeit. [79] 1934 kaufte Othmar Spann das sogenannte Werkschloss im burgenländischen Neustift bei Schlaining in der Gemeinde Mariasdorf / Máriafalva, Bergwerk 42. Die Bezeichnung »Werkschloß« – auch »Werkschlößl« oder »Antimonschlößl« – stammt übrigens nicht – wie vereinzelt vermutet – von Spann, sondern ist ein althergebrachter Name für das neo-romantische Schloss, welches 1869 unter Verwendung älterer Bauteile des Verwalterhauses eines Antimonbergwerks erbaut wurde. Bauherr war József Ede Körmendy (Josef Eduard von Körmendy), der hier 1860 einen Antimonerzbergbau eröffnet hatte. Von ihm erwarb es 1878 die Firma Miller zu Aichholz, Wien, von dieser wiederum Othmar Spann. Das heute unter Denkmalschutz stehende Werkschlössl wurde nach dem Tod von Erika Spann-Rheinsch verkauft. Das Ehepaar Spann ist auf dem Friedhof von Neustift bei Schlaining begraben. [80] Adalbert Spann fiel am 3. März 1942 bei Jel'nja ‹Ельня› in der Sowjetunion (heute Russland). Ergänzend sei hier darauf hingewiesen, dass auch das Schicksal des jüngeren Sohnes schwer auf Othmar Spann lastete: Raphael Spann wurde im Januar 1948 durch die sowjetischen Behörden wegen angeblicher Spionage für Großbritannien in Wien verhaftet, in Baden, Niederösterreich, verhört und gefoltert. Obwohl er nicht geständig war, kam er ins berüchtigte sogenannte Arbeitslager in Vorkuta ‹Воркута›, Sibirien, aus dem er erst im Juni 1955 nach Österreich zurückkehren konnte.
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